: 1:0 gegen die Kunst
SPEKTAKEL Der symbolische Raum des Wettstreits: Der philippinische Videokünstler Paul Pfeiffer im Hamburger Bahnhof
VON BRIGITTE WERNEBURG
Ein undefinierbarer dunkler Klumpen und daneben eine Motte. Das ist das erste Bild in Paul Pfeiffers aktueller Ausstellung „The Saints“ im Hamburger Bahnhof. Drei Monate lang wird es bis zum Abspann des Films dauern, der so beginnt. Drei Monate Laufzeit ist ziemlich originell, trotzdem verdankt sie sich nicht dem Wunsch nach dem aparten Einfall, sondern der Sache selbst. Denn das Echtzeitvideo „Empire“, eine Leihgabe der Sammlerin Julia Stoschek, zeigt den Bau eines Westennests.
Der 1966 in Honolulu geborene und auf den Philippinen aufgewachsene Künstler beobachtet gewissermaßen das „Empire State Building“, den Aufbau eines (Insekten-)Staates durch die eierlegende Königin. Paul Pfeiffers „Empire“ von 2004 ist also auch eine raffinierte Hommage an Andy Warhols „Empire“ von 1964. Freilich degradiert er dabei die acht Stunden und fünf Minuten, die Warhols 40 Jahre zuvor gedrehtes Echtzeitvideo dauerte, zur Lappalie.
Und damit ist man auch schon mitten drin, im Thema von „The Saints“. Es geht um Wettkampf, darum, den anderen zu schlagen. Das bedeutet auch das übermannsgroße Modell des Sportstadions, die Leihgabe von Ingvild Goetz, die im darauffolgenden Raum den Weg versperrt. Doch die „Vitruvian Figure“, die nur zu einem Viertel gebaute und zu drei Vierteln herbeigespiegelte Arena, tritt auch als formales Echo auf das zuvor gezeigte Wespennest auf und macht deutlich, dass Paul Pfeiffer weniger den Wettstreit als dessen symbolischen Raum inszeniert: konkret, den architektonischen und den akustischen Raum.
Nicht nur im Alltag, auch im Museum überformt der akustische den gebauten Raum. Aufgrund der Fangesänge, der Sprechchöre, der Anfeuerungsrufe und schließlich des Jubels ist deshalb beim Eintritt in die Ausstellung schnell klar, dass ihr Zentrum ein Fußballspiel sein muss. Doch wo genau ist nun dieses Zentrum? Auf die „Vitruvian Figure“ folgt nämlich ein knapp 500 Quadratmeter großer leerer Raum, der allerdings vom Lärm eines legendären Fußballspiels angefüllt ist. Läuft hier das Spiel?
Am Ende des Raums zieht ein kleiner LCD-Monitor die Aufmerksamkeit der Besucher und Besucherinnen auf sich. Zu sehen ist ein einsamer Spieler mit der Nummer 9, der – ohne Ball und Mitspieler – auf nicht deutbaren Wegstrecken über das Feld läuft.
Paul Pfeiffer hat seine Mannschaft und die des Gegners, aber auch Ball und Schiedsrichter digital ausradiert. Das kennt man aus seinen früheren Arbeiten, in denen er die Mannschaften beim Basketball wegretuschiert hat, weshalb der Ball von unsichtbarer Hand in den Korb geworfen wird. Im Übrigen gehört die Nummer 9 Geoffrey Hurst, der nach seinem dritten, vermeintlich irregulären Wembley-Tor im Fußballweltmeisterschaftsendspiel 1966 zwischen England und der BRD offiziell geadelt und inoffiziell heiliggesprochen wurde. Schließlich sicherte er England den ersten und bislang einzigen Weltmeistertitel.
Im vierten und letzten Raum wird man der Sache dann endlich ansichtig. Auf einer geteilten Leinwand ist einmal rechts, in Schwarz-Weiß, ein 33-minütiger Zusammenschnitt des Originalfilms des Endspiels zu sehen; und links, in Farbe, zeigen Aufnahmen Fans aus dem asiatischen Raum. Bei ihnen handelt es sich, so kommt heraus, um etwa eintausend eigens vom Künstler engagierten Filipinos, die sich in einem Kinosaal in Manila zusammenfanden, um dort das berühmte Match singend und skandierend nachzustellen.
Gleichzeitig handelt sich bei ihnen auch um eine weitere Variante von Paul Pfeiffers dekonstruktivistischem Spiel der Verfremdungseffekte. In diesem Spiel entkleidet er das Spektakel des Sports seines Kontextes und zerlegt es darüber hinaus in seine Einzelteile, in unmotiviert bewegte Körper oder in reinen Sound, in eigenmächtig agierende Trophäen und grundlose Rituale auf dem Feld oder den Rängen.
Aber dieses Mal verfängt sein Spiel nicht. Das ist beim Beobachten der Beobachter und Beobachterinnen zu sehen. Das Spiel ist zu interessant. Pfeiffer möchte „das Auge des Zuschauers davon abhalten, automatisch auf das Zentrum zuzuwandern“, wie er sagt. Doch die Besucher schauen stur nach rechts. Es steht, so möchte man sage, 1:0 gegen die Kunst. Was in diesem Fall keine Tragödie ist, denn Paul Pfeiffer misst sich mit einem wahrhaft großen Gegner, dessen Spielzüge er durchaus mit einigen raffinierten Tricks kontert.
Paul Pfeiffer, den Britta Schmitz jetzt endlich nach Berlin geholt hat, ist sicher der derzeit beachtenswerteste Videokünstler. Die visuelle und intellektuelle Sorgfalt, mit der er seine Videoinstallationen inszeniert, besticht. Der Minibildschirm im leeren, nur von Gebrüll erfüllten Raum zum Beispiel ist ein stupender Kommentar zum Public Viewing und seinem Großbildschirm. Er zeigt im Modell, wie die Sache wirklich funktioniert: Die Euphorie, das Zusammenbangen oder -jubeln der Fans übertrumpft das Geschehen auf der Leinwand, die, je lauter die Gesänge, desto kleiner wird.
■ Bis 28. März 2010, Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50–51, Di–Fr 10–18, Sa 10–20, So 11–18 Uhr