Feminismus in der arabischen Welt

GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT In Beirut fand am Wochenende die Arab Feminisms Conference statt

Über 40 arabische Frauen aus dem Nahen Osten, Nordafrika, Europa und Amerika haben sich in Beirut getroffen, um über den Feminismus in der arabischen Welt zu diskutieren. Einen breiten Raum nahm der islamische Feminismus ein, der seit einigen Jahren immer mehr von sich Reden macht. Prominente Vertreterin ist Omaima Abu Bakr. Die Professorin für englische Literatur an der Cairo University trägt ein Kopftuch, eine langärmlige Bluse und einen bodenlangen Rock. Trotzdem will diese wie eine fromme Muslimin aussehende Wissenschaftlerin den religiösen Diskurs reformieren. Abu Bakr setzt sich kritisch mit Koraninterpretationen auseinander und forscht zu Biografien muslimischer Frauen im Mittelalter: „Was ich mache, ist ein feministisches Projekt, das sich mit islamischen Quellen beschäftigt“, betont sie. Ihr Ausgangspunkt sei der einer Muslimin, die Unterdrückung und Diskriminierung ablehne. Sie beschäftige sich mit Texten, um herauszufinden, wie bestimmte Urteile, Meinungen und Bilder entstanden sind.

Die Skepsis der meisten Zuhörerinnen ist groß. Viele der säkular orientierten arabischen Frauen der älteren Generation haben den Islam als Zwangsjacke erlebt. In ihren Familien und in der Gesellschaft haben sie erbittert darum gekämpft, kein Kopftuch tragen zu müssen und sich nicht von Vater oder Bruder vorschreiben zu lassen, wie sie ihr Leben zu führen haben. Aber nun treten Frauen wie Omaima Abu Bakr mit dem Koran in der Hand auf und beanspruchen für Frauenemanzipation zu kämpfen – mit einer Neuauslegung von Koranversen, die die Grundlage für jahrhundertelange Benachteiligung gebildet haben.

Zu den vehementesten Kritikerinnen gehört Amal Grami. Sie unterrichtet an der Manouba-Universität in Tunis Gender Studies. Grami weist darauf hin, dass der islamische Feminismus parallel zum Erstarken des politischen Islam und der vermehrten Islamisierung des öffentlichen Lebens in vielen Ländern entstanden ist: „Wenn die Frauenfrage ausschließlich in einem religiösen Rahmen diskutiert wird, dann ist es doch Wasser auf die Mühlen derjenigen, die behaupten, der Islam sei die Lösung, der bekannte Slogan der Islamisten.“ Alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren würden außer Acht gelassen.

Misstrauisch äußert sich auch die junge Aktivistin Zaina Zaatari. Das Begriffspaar „Feminismus“ und „Islam“ müsse nicht zwangsläufig ein Widerspruch sein. Allerdings: „Feminismus heißt die Kräfteverhältnisse ändern. Ist die islamische Variante des Feminismus wirklich dazu bereit? Sind sie bereit, die islamischen religiösen Institutionen zu zerschmettern? Was soll an ihre Stelle treten?“ Interessieren würde sie auch, was Abu Bakr und ihre Mitstreiterinnen unter Glauben verstehen. Ist er eine persönliche Beziehung zwischen Mensch und Gott? Oder soll dieser Glauben etwa auch den Alltag anderer Menschen beeinflussen und vorschreiben, was erlaubt und was verboten ist?

Auf diese Fragen konnte Omaima Abu Bakr keine überzeugenden Antworten geben. Sie versicherte zwar, sie sei natürlich für eine tiefgreifende Veränderung der Kräfteverhältnisse, aber wie das in der Praxis aussehen soll, blieb offen.

Die arabischen Feministinnen befinden sich in einem Dilemma. In vielen Ländern wie Ägypten, Syrien oder Libanon sind säkulare Frauenorganisationen zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Anders als die islamistischen Bewegungen können sie kaum mehr Anhängerinnen mobilisieren. Ihre Forderungen werden als westlich-elitär diskreditiert. Säkulare Frauen müssen erkennen, dass es vor dem zurzeit dominanten islamischen Diskurs kein Entrinnen gibt.

Die ägyptisch-amerikanische Politologin Mervat Hatem, die sich ausdrücklich in der Tradition der arabischen Feministinnen der ersten Stunde versteht, versucht diesen Trend als Chance zu sehen. Sie betrachtet den islamischen Feminismus als einen Versuch, das weibliche kulturelle Erbe wiederzuentdecken: „Zum ersten Mal seit Jahrhunderten melden sich gläubige Frauen zu Wort und beanspruchen islamische Geschichte und Religion auch für sich – Felder, die lange nur Männern vorbehalten waren und die stets gegen die Frauen benutzt wurden.“ Hatem arbeitet bei verschiedenen Projekten mit überzeugten Musliminnen zusammen: „Wir versuchen immer im Gespräch zu bleiben und darauf zu achten, dass nie eine Seite die andere zum Schweigen bringt.“

Die auffallend wenigen jungen Frauen bei der Konferenz kritisierten das Übergewicht akademischer Diskussionen. Die 23-jährige Helen Darwish vom Feministischen Kollektiv in Beirut vermisste zudem zwei Themen, die sie gerade am meisten beschäftigen: wie sie ihre Sexualität leben kann und die Ausbeutung weiblicher Hausangestellten im Libanon. MONA NAGGAR