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Archiv-Artikel

Das Lied vom Jazz und Havanna

ANIMATION In „Chico & Rita“ von Fernado Trueba und Javier Mariscal wird hinter einer traurigen Liebesgeschichte von den goldenen Zeiten der kubanischen Musik erzählt

Es ist eine Empfehlung, dass in den USA wegen „Nacktheit und Drogengebrauch“ nur Erwachsene den Film ansehen dürfen

VON WILFRIED HIPPEN

Es war eine der kleinen Überraschungen bei der diesjährigen Auswahl von Oscar-Nominierungen: Auf der Liste für den besten Animationsfilm fehlten einige große US-Produktionen wie Steven Spielbergs „Tim und Struppi“ und stattdessen schaffte es der spanische Zeichentrickfilm „Chico & Rita“ unter die ersten fünf.

Im Gegensatz zu den inzwischen gängigen, mit großem technologischem Aufwand computer-animierten Filmen, von denen mit Gore Verbinskis „Rango“ dann auch einer den Oscar gewann, ist „Chico & Rita“ in traditioneller Technik gezeichnet. Im Stil der „Ligne claire“ (also der „klaren Linie“), die ausgerechnet von Hergé, dem Schöpfer von „Tim und Struppi“ entwickelt wurde, wird hier im nostalgischen Ton die Blütezeit der populären kubanischen Musik heraufbeschworen.

Auch im heruntergekommenen Havanna von heute ist die Luft an jeder Straßenecke und in jedem schäbigen Wohnhaus mit Musik angefüllt. HipHop schallt aus Ghettoblastern, Popmusik aus den laut aufgedrehten Fernsehern. Ein alter Mann geht langsam durch die Straßen und er hat offensichtlich noch ein Ohr für diese Klänge. Doch zu Hause angekommen hört er im Radio einen alten Hit aus den vierziger Jahren und der weckt Erinnerungen in ihm, denn er hatte damals bei den Aufnahmen dieses Schlagers Klavier gespielt und die große Liebe seines Lebens hatte ihn gesungen.

Als eine große Rückblende wird nun die Geschichte von Chico und Rita erzählt, und in diesem Rahmen ist die nostalgische Verklärung ganz natürlich. 1948 war Chico ein gutaussehender, begabter Jazzpianist und Havanna eine schillernde Unterhaltungsmetropole. In einer Nacht lernt er zuerst die wunderschöne Sängerin Rita kennen und schleicht sich mit ihr in die luxuriöse Show in einem der teuren Strandhotels.

Dort spielt Woody Herman mit seinem Orchester, und da der Pianist ausfällt, vertritt Chico ihn und meistert direkt vom Blatt das hochkomplizierte „Preludium for Jazz Band“ von Igor Stravisnky.

In dieser Sequenz wird zum ersten Mal deutlich, wie sorgfältig hier die Stimmung und Musik dieser Ära nachempfunden wird. Nach Herman werden später noch Dizzy Gillespie, Charly Parker und Thelonious Monk in Kurzauftritten ihre Musik spielen.

Der 1918 geborene Pianist Bebo Valdés (dem der alte Chico übrigens wie aus dem Gesicht geschnitten ist) hat die Musik jener Zeit grandios für den Film neu eingespielt, und die Animation des Designers und Illustratoren Javier Mariscal ist voller Farben und tänzerischer Bewegungen. Zudem hat er sich bei den einzelne Spielorten soviel Mühe gegeben, dass man hier kaum noch von Hintergründen sprechen mag.

Das sündhafte Havanna vor der Revolution, das New York des Bebop, das Paris der 50er Jahre, in dem die afroamerikanischen Jazzmusiker gefeiert wurden und das Las Vegas der frühen 60er als große Unterhaltungsmaschine: all das wird hier so detailreich und architektonisch komplex nachgezeichnet, dass es die Liebesgeschichte ist, die fast in den Hintergrund gerät.

Dabei wird sie nicht so prüde wie sonst in Animationsfilmen üblich inszeniert. Der Regisseur Fernado Trueba war schon immer ein sehr sinnlicher Filmemacher. In seinem oscarprämierten „Belle Epoche“ ließ er 1992 Penélope Cruz zum ersten Mal so verführerisch aussehen, wie es außer ihm später nur noch Almodóvar gelang. Und so ist es eher eine Empfehlung, dass in den USA wegen „Nacktheit und Drogengebrauch“ nur Erwachsene „Chico & Rita“ im Kino ansehen dürfen.

Wie jeder gute Erzähler weiß auch Trueba, dass gute Liebesgeschichten immer traurig sind, und so gönnt er Chico und Rita nur wenig Zeit miteinander. Chico ist leider notorisch untreu und ein amerikanischer Konzertmanager versucht alles, um Rita für sich zu gewinnen. So kommt es bald zu einem Streit zwischen den beiden und Rita macht eher aus Trotz als aus Ehrgeiz eine große Karriere in den USA.

Chico reist ihr zwar nach und hat als Bebop-Pianist ebenfalls erfolgreich, aber der einflussreiche Impresario versucht alles, um sie zu trennen. So schickt er Chico nach Paris und macht aus Rita einen Filmstar in Hollywood.

Das ist spannend und mit viel Wehmut erzählt, aber im Grunde ist die Romanze doch nur die Schnur, an der entlang von den goldenen Zeiten des Jazz erzählt wird. Am Schluss wird der alte Chico dann von einer jungen Musikerin entdeckt, als deren Begleiter am Piano er ein grandioses Comeback erlebt. Hier wird natürlich die Geschichte von Ry Cooder und dem „Buena Vista Social Club“ gespiegelt, aber auch dabei finden Valdés, Mariscal und Trueba genau den richtigen Ton.