: Land unter für Hafen von Antwerpen
SEEFAHRT Für Ausbau eines Wasserweges sollen als Öko-Ausgleich 300 Hektar Acker geflutet werden
AMSTERDAM taz | Es ist ein Novum in der Geschichte der Niederlande: Mit dem Hertogin-Hedwige-Polder, einer 300 Hektar großen Ackerbaufläche in der südwestlichen Provinz Seeland unmittelbar an der belgischen Grenze, soll erstmals Land wieder dem Meer überlassen werden. Zu diesem Beschluss kam die Regierung in Den Haag am Freitag. Premierminister Jan Peter Balkenende sprach von einer „Enttäuschung“. Bis zuletzt hatte sein Kabinett nach Alternativen gesucht.
Hinter der Entscheidung steht der Disput mit dem Nachbarland Belgien um den Ausbau der Westerschelde. Der Meeresarm liegt fast vollständig auf niederländischem Gebiet und bildet die Zufahrt zum Seehafen von Antwerpen. 2005 vereinbarten beide Staaten, die Fahrrinne zu vertiefen, damit auch die größten Frachtschiffe diesen gezeitenunabhängig erreichen können. Die europäische Gesetzgebung verpflichtet die Nachbarländer, als Kompensation für den Eingriff in das sensible Ökosystem der Flussmündung Maßnahmen zum Umweltschutz zu ergreifen. Dieser Zweck sollte mit dem Fluten des Polders erfüllt werden.
Gerade in der Provinz Seeland – von der Flutkatastrophe 1953 schwer getroffen – ist die „Entpolderung“, das Aufgeben von Land, ein heikles Thema. Daher suchte die niederländische Regierung nach Alternativen. Doch der negative Bescheid eines Ingenieurbüros besiegelte vergangene Woche das Schicksal des Polders.
Vor zwei Monaten bewirkte die Frage eine diplomatische Krise zwischen den Regierungen in Den Haag und Brüssel. Das höchste niederländische Verwaltungsgericht gab damals der Klage von Umweltorganisationen gegen die Vertiefung der Westerschelde statt und legte die Baugenehmigung auf Eis. Die belgische Regierung droht seither mit Schadenersatzforderungen.
Den Plänen zufolge soll der Ausbau der Fahrrinne bis Ende 2009 abgeschlossen sein. Ohne diesen Schritt gehen dem Hafen nach belgischen Angaben jährliche Einnahmen von 70 Millionen Euro verloren. Bisher profitiert der 100 Kilometer entfernte Europoort in Rotterdam davon, dass Riesenfrachter Antwerpen nicht problemlos anlaufen können. Rotterdam ist der größte Hafen Europas.
Der Zeitplan der Vertiefung der Westerschelde liegt indes weiter im Dunkeln. Der Besitzer des Polders lehnt einen Verkauf ab. Notfalls will die Regierung ihn enteignen. Doch auch die Vorbereitung der Überflutung könnte nach Medienberichten noch bis ins Jahr 2012 reichen.
TOBIAS MÜLLER