herr k. macht einen aufguss
: Der Grenzgänger

Stephen Cherono alias Saif Saeed Shaheen besiegt im 3.000-Meter-Hindernisrennen seinen ärgsten Rivalen

Als Stephen Cherono dem Regen getrotzt und sein abendliches Tagwerk vollbracht hatte, griff der neue und alte 3.000-m-Hindernis-Weltmeister zielsicher zur Flagge, die man ihm entgegenhielt. Der Stoff war zu zwei Dritteln bordeauxrot und zu einem weiß, und in dem Moment, in dem sich Cherono darin einwickelte, wechselte er seine Identität. Stephen Cherono, der Läufer aus Kenia, wurde zu Saif Saeed Shaheen, Hindernis-Weltmeister und Weltrekordhalter aus Katar.

8:13,31 Minuten hatte Cherono im Olympiastadion von Helsinki gebraucht, um den kenianischen Olympiasieger Ezekiel Kemboi sowie dessen Landsmann Brimin Kipruto auf die Plätze zu verweisen. Fast ebenso schnell wurde aus dem Kenianer ein Katari. Auf den Tag zwei Jahre zuvor hatte Cherono, der zu einem der größten Talente zählte, seinen neuen Pass bekommen. Nur ein paar Tage später war er in Paris Weltmeister für den Golfstaat geworden. Und ein Politikum. Denn freiwillig ließen die Kenianer ihren Mann nicht ziehen. Ganz im Gegenteil: Wenn Cherono schon nicht für Kenia Medaillen gewinnen würde, dann sollte das Shaheen für Katar auch nicht tun. Den Start bei Olympia vermasselten die Kenianer ihrem ehemaligen Landsmann durch einen Einspruch beim IOC. Und auch sonst wurde alles getan, um ihm das Leben so schwer wie möglich zu machen. „Eine Million Dollar machen Cherono zum Überläufer“, hieß es in einer kenianischen Zeitung. In Wirklichkeit dürfte es noch nicht einmal die Hälfte gewesen sein, aber wer wollte das schon nachprüfen. Im Rückblick sagt Shaheen: „Ich fürchtete damals um mein Leben.“

Kenia mag seine medaillenhungrigen Läufer lieben und verehren, sonderlich gut um sie kümmern aber tut das Land sich nicht. „Ich habe im Laufe der Jahre erkennen müssen, dass Kenia seine Athleten überhaupt nicht unterstützt und ehemalige Weltklasseläufer zuweilen wie Hunde krepieren, weil sich niemand um sie schert“, sagte Cherono damals. Und seine eigene Familie hält dafür ein warnendes Beispiel parat: Auch Cheronos Bruder Christopher Kosgei war Hindernis-Weltmeister, 1999 in Sevilla, und ist doch längst wieder verarmt.

Es steht also niemandem zu, den 22-Jährigen für seinen Nationalitätswechsel zu verurteilen. Und selbst in Eldoret, seiner Heimatstadt, in der Cherono nach wie vor lebt und trainiert, hat man ihm verziehen. „Er hat Recht“, sagen viele der Menschen dort, die noch immer in Armut leben. Sie missgönnen ihm nicht, dass er von den Kataris 5.000 Dollar im Monat kassiert – und für den WM-Titel 125.000 Dollar. Ganz im Gegenteil, sie hätten es an seiner Stelle genauso gemacht. So wie auch die anderen etwa 50 ostafrikanischen Läufer, die seinem Beispiel folgten und seitdem für einen der Golfstaaten laufen.

Kenia konnte sich ja immer noch über die Plätze zwei und drei im Hindernisrennen freuen – und darüber, dass sie alle zusammen den Marokkaner Brahim Boulami im Griff hatten, der lange Zeit in Führung lag und dann nur Vierter wurde. Boulami ist so etwas wie der natürliche Feind der kenianischen Hindernisläufer, was damit zu tun hat, dass er ihnen im August 2001 den Weltrekord abgeknöpft hatte, der 24 Jahre lang in kenianischer Hand war. Shaheen war damals selbst noch Kenianer, und als Boulami ein Jahr später den Rekord nochmals auf unglaubliche 7:53,28 Minuten verbesserte und den in dem Rennen schwer geschlagenen Olympiasieger Reuben Kosgei mit den Worten beleidigte: „Geh lieber heim und trainiere“, war das Maß für den damals noch Cherono heißenden Katari Shaheen voll.

Zusammen mit seinem Landsmann Wilson Kipketer Boit überführte er den Marokkaner des Dopings, bei drei Sportfesten schlichen sie Boulami vor dessen Start in die Toilette nach. Drei Mal fanden sie leere Spritzen, in denen, wie sich bei der Laboranalyse herausstellen sollte, Reste des Blutdopingmittels Epo befanden. Cherono und Boit meldeten dies, kurz darauf wurde Boulami etwas sorgfältiger getestet – und prompt erwischt. Für den Kenianer Stephen Cherono war das ein großer Erfolg.

Für den Katari Saif Saeed Shaheen übrigens auch.

FRANK KETTERER