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Archiv-Artikel

Im Dienste der Aufklärung

NACHRUF Der Frankfurter Philosoph Alfred Schmidt ist gestorben

An Goethes Geburtstag sterben – daraus hätte der rhetorisch brillante Philosoph Alfred Schmidt eine Geschichte mit schöner Pointe gedrechselt. Die traurige Wahrheit: Jetzt ist der Goethe-Kenner Schmidt just am 28. August, Goethes 263. Geburtstag, 82-jährig gestorben.

Schmidts beeindruckender Gestalt konnte sich nicht entziehen, wer in seinen Seminaren und den legendären Donnerstagvorlesungen über Marxismus saß. Der 1931 geborene Schmidt studierte in Frankfurt neben Philosophie und Soziologie auch Geschichte. Als Lehrender war er in jedem Moment von beeindruckend raumfüllender Präsenz und humaner, allürenfreier Diesseitigkeit.

Solche Bodenständigkeit ist ihm nicht überall gut bekommen. Im Briefwechsel zwischen seinen universitären Herren Theodor W. Adorno und Max Horkheimer ist gelegentlich abschätzig von „unserem Schmidt“ die Rede, der für subalterne Aufgaben einzusetzen sei wie ehedem Knechte und Mägde auf Gutsherrensitzen. Schmidt stammte weder aus einer Kaufmanns- noch aus einer Akademikerfamilie. Sein Vater war Mechaniker.

1972 wurde Schmidt zum Professor ernannt und in Frankfurt Nachfolger von Jürgen Habermas. Schmidt blieb eine Randfigur in der Frankfurter Schule, obwohl er sich als Übersetzer von Herbert Marcuses Schriften in den frühen sechziger Jahren längst als einer der maßgeblichen Mentoren der 68er Bewegung im deutschen Sprachraum profiliert hatte.

Jahre vor diesen Übersetzungen war 1962 seine Dissertation zum „Begriff der Natur in der Lehre von Karl Marx“ erschienen. Sie blieb bis 1968 ein Geheimtipp, wurde aber danach durch zahlreiche Raub-, Nachdrucke und Übersetzungen in 18 Sprachen zu einem der meistgelesenen Bücher in der europäischen Protestbewegung. Schmidts Studie öffnete einen Blick auf Marx’ Theoriegebäude, das durch das leninistisch-stalinistische Korsett bis dahin in seiner Bedeutung gar nicht richtig erkannt werden konnte. Alfred Schmidt ist der Pionier einer undogmatisch-emanzipatorischen Marx-Rezeption und war Jahre vor der ökologischen Bewegung der Erste, der Marx’ Beitrag zu einer Ethik der Natur und den Umgang mit dieser erkannt hat.

In seinen späteren Studien zu Feuerbach, Goethe, Schopenhauer und zu Heidegger blieb er der kritischen Gesellschaftstheorie treu und dehnte deren Horizont. Er engagierte sich in der einem radikalen Humanismus verpflichteten Freimaurerloge „Zur Einigkeit“ und setzte sich öffentlich mit dem Tod auseinander: „Die Endlichkeit, die will verdaut sein“, sagt er in einem Interview zum seinem 80. Geburtstag. Am Dienstag ist Schmidt nach einer Herzoperation in Frankfurt gestorben. RUDOLF WALTHER