: Sebastian das Ekel
CRIME SCENE Die Drehbuchautoren Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt erobern mit einem unerträglichen Helden die Bestsellerliste
Michael Hjorth und Hans Rosenfeldt waren Debütanten im großen Krimigeschäft, als sie 2010 mit der schwedischen Ausgabe ihres ersten gemeinsamen Romans „Der Mann, der kein Mörder war“ herauskamen. Als Autoren waren beide schon vorher erfolgreich, als gestandene Fernsehmänner und Drehbuchschreiber. Auch den unausstehlichen, aber genialen Kriminalpsychologen Sebastian Bergman, die Hauptfigur ihrer mittlerweile zwei Bücher, die gerade gleichzeitig die Spiegel-Bestsellerliste erobern, ersannen sie zuerst als TV-Serienhelden. Weihnachten 2010 lief der Zweiteiler im schwedischen Fernsehen. Erst nachdem die Drehbücher fertig waren, setzten die Autoren sich noch einmal hin, um aus Sebastian Bergman eine Buchfigur zu machen.
Das muss man erst einmal nachlesen, denn von allein käme man nie darauf, dass eines der intelligentesten und interessantesten Produkte, das in den letzten Jahren aus der schwedischen Thrillerfabrik lanciert wurde, als Sekundärprodukt entstand. Die Übersetzungsrechte an den Romanen sind schon in 13 Länder verkauft. Wer aber ist Sebastian Bergman? Ein Antiheld, unsympathisch, arrogant, sexsüchtig; ein übergewichtiger Mann in mittleren Jahren, der Frauen nicht liebt, sondern konsumiert, das aber massenweise. Aber das ist nicht alles. Der geniale Dreh, den Hjorth/Rosenfeldt ihrem Helden verpasst haben, besteht darin, dass er äußerst ambivalente Gefühle erzeugt. Es ist unmöglich, das Ekel Sebastian zu hassen, da man einfach Mitleid mit ihm haben muss.
In „Der Mann, der kein Mörder war“ wird sein familiärer Hintergrund angerissen, eine unglückliche Kindheit in der langweiligsten Kleinstadt der Welt. Bergmans ganz großes Trauma aber ist es, dass die einzige Frau, die er wirklich geliebt hat, und die gemeinsame Tochter bei der Tsunami-Katastrophe umgekommen sind. Der Psychologe ist besessen von seiner Trauer – bis er erfährt, dass eine seiner früheren Geliebten ein Kind von ihm zur Welt gebracht hat, und er eine neue Besessenheit entwickeln kann. Er setzt alles daran, das Kind zu finden.
Im zweiten Band „Die Frauen, die er kannte“ wird Sebastian Bergman als Stalker vorgeführt. Seine lange unbekannte Tochter nämlich ist eine Kollegin, die begabte Kriminalbeamtin Vanja. Da deren Mutter Sebastian verbietet, sich als Erzeuger zu outen, beschattet er, neurotisch wie eh und je, Vanja heimlich in jeder freien Minute. Zur selben Zeit ist in Stockholm ein Serientäter am Werk, der Frauen nach immer demselben Muster tötet. Es verrät intime Kenntnis der Taten eines anderen Serienmörders, den Bergman einst hinter Gitter zu bringen half und der in strenger Isolationshaft sitzt. Irritierend an der Mordserie ist nicht nur die Tatsache, dass der Täter sogar Details der Taten imitiert, die niemals veröffentlicht wurden, sondern auch, dass nur Frauen umgebracht werden, mit denen Sebastian Bergman irgendwann Sex hatte. Ist er also irgendwie mitschuldig am Tod all dieser Frauen? Oder auch: Ist sein eigener Sexualtrieb nicht ähnlich fehlgesteuert wie bei jenem Serienmörder?
Beunruhigende Fragen wie diese grundieren die recht komplex konstruierte Handlung. Überkonstruiert aber erscheint sie nicht, auch wenn auf auffällige Weise alles mit allem zusammenhängt. Das liegt vor allem an dem spielerischen und dezent ironischen Gestus, mit dem die Autoren ihre Figuren in den Ring schicken. Nach all den melancholisch-misanthropischen Ermittlerfiguren, die man sonst so kennt, ist es eine Wohltat, wenn mal eine Hauptfigur auftaucht, mit der dieses Heldenmuster gründlich auf die Spitze getrieben wird. Sebastian Bergman ist ein Antiheld, der das Unheil regelrecht anzieht. Aber das mit Genuss. KATHARINA GRANZIN
■ Hjorth & Rosenfeldt: „Der Mann, der kein Mörder war.“ Rowohlt, Reinbek 2011, 588 Seiten, 14,95 Euro ■ Hjorth & Rosenfeldt: „Die Frauen, die er kannte.“ Rowohlt, Reinbek 2012, 729 Seiten, 14,95 Euro