Fragen der Zucht

Die Jugend der Welt findet es total okay, wenn der Papst klare Ansagen macht. Wenigstens einer, der weiß, wo’s langgeht. Was nicht heißt, dass sie in seiner Firma arbeiten will

VON MARTIN REICHERT

Ihr Kinderlein kommet, denn es ist Weltjugendtag. Alte Männer in hübschen Roben erwarten euch mit offenen Armen, denn ihr seid die Steine, mit denen die Kirche der Zukunft gebaut werden soll. Aber, ihr jungen Männer, seid bloß nicht fruchtbar, vermehret euch nicht. Lasset die Finger von den Frauen, denn ihr seid zu Höherem berufen: zum Priesteramt. Die jungen Frauen kommen für den Job nicht in Frage – ein klarer Wettbewerbsvorteil in Zeiten verschärfter Konkurrenz.

Der Weltjugendtag ist letztendlich eine riesige Jobbörse, ein Rekrutierungsfeld sowohl für den Personal- als auch für den Kundennachwuchs. Sie fällt nun nicht ganz so riesig aus wie vorgesehen, denn der Papsthype ist abgeklungen, Johannes Paul II. hat mit seiner eigenen Beerdigung sein letztes Event mit Bravour gemeistert, Deckel zu.

Irgendwie findet man das als junger Mensch ganz gut, wenn dort, wo Papst drauf steht, auch Papst drin ist. Keine Eiertänze, kein differenziertes Gelaber, stattdessen klare Ansagen: du sollst, du sollst nicht, ja und nein, Schwarz und Weiß. Der Papst muss als Vater streng sein und mit harter Hand für Gerechtigkeit sorgen. Für Barmherzigkeit hat man schließlich, freilich nachträglich, den Marienkult etabliert. Es hat alles seine Ordnung und seinen Sinn.

Die T-Shirts mit der Fotomontage eines kiffenden Karol Wojtyła und der Aufschrift „I like the Pope, the Pope smokes Dope“ trägt nur noch der Erdkundelehrer, wenn er den Garten umgräbt. Niemand hat mehr Lust, gegen die Bigotterie des katholischen Klerus aufzubegehren oder sich mit den geheimen Waffendeals des Vatikans zu beschäftigen. Der Katholizismus ist ein Angebot, und man nimmt sich aus ihm, was man brauchen kann.

Als männlicher Katholik hat man eigentlich ganz gute Karten, schließlich ist die katholische Kirche ein reiner Männerverein, in dem außer Zweifel steht, wer das Sagen hat: die Herren der Schöpfung. Der aufgerichtete Phallus ist der Pfeil, der die Richtung weist, die Frau ist das Gefäß, das den männlichen Samen auffängt. Der Mann ist der Lebensspender, der Gebende, die Frau die Empfangende. Während sich die Frau entsprechend ihrem „Genius“ um Kinder und Küche kümmert, hat man selbst freie Bahn in der öffentlichen Sphäre. „Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber wird über dich herrschen“, sprach Gott zu Eva nach dem Sündenfall. Ein gutes Angebot für junge Männer, denen es fortschreitender Modernisierung wegen – Frauenemanzipation inklusive – immer schwerer fällt, männliche Identitäten herzustellen.

Wann ist ein Mann ein Mann? Eine Frage, die Männer jeden Tag neu beantworten müssen. Im Laufe der Geschichte haben sich die Antworten geändert, aber die katholische Antwort ist immer gleich: Mann und Frau sind von Beginn der Schöpfung an unterschieden und bleiben es in alle Ewigkeit.

Das Wesen des Mannes im katholischen Sinne ergibt sich in Abgrenzung zur Frau, die dementsprechend recht gut durchdefiniert ist, zuletzt in einem Schreiben von Kardinal Joseph Ratzinger an die Bischöfe, als er noch Vorsitzender der Glaubenskongregation war. Die Frau ist demnach in ihrem tiefsten Sein für den anderen da und nicht für sich selbst. Sie kümmert sich um das Wohl des Mannes und der Kinder, beweint die Toten – sie ist letztlich für die Gefühlspalette zuständig.

Wie es sich anfühlt, einen solchen Mann stehen zu müssen, können sich junge Männer heute wahrscheinlich gar nicht mehr vorstellen, höchstens, wenn sie selbst einen Vater haben, der noch aus dem alten Holz geschnitzt ist: Ein Mann weint nicht, er zeigt keine Gefühle. Seine Aufgabe als Vater ist es, Geld heranzuschaffen und strafende Instanz zu sein, mit harter Hand, die zu züchtigen in der Lage ist. Männer, die wissen, wo es langgeht, und die gleichzeitig von emotionaler Verkrüppelung gezeichnet sind. Männer, die hart gegen sich selbst und andere sind. Männer, die keine Rücksicht auf ihren Körper nehmen, weil er nur ein Werkzeug ist, dem Liebe zu schenken überflüssig wäre. Einsame Männer, die keine wirklichen Freunde haben, weil sie nicht aus sich herausgehen können, nicht wissen, wie es ist, für jemand anderen da zu sein.

Wer mit den Privilegien traditioneller Mannbarkeit ausgestattet sein möchte, muss einen hohen Preis zahlen und auf mancherlei Sinnlichkeit verzichten, denn wer nur zu „geben“ imstande ist, kann niemals empfangen. Wer glaubt, über seine Frau herrschen zu müssen, anstatt partnerschaftlich an ihrer Seite zu gehen, wird alleine sein.

Die in fundamentalistischen Kreisen betriebene Geschlechterapartheid ist ohnehin eine recht ungemütliche Angelegenheit. Wer will wirklich in kargen katholischen Klosterzellen verweilen?

Diese Widrigkeiten gehören leider zum Sinnangebot des Katholizismus fundamentalistischer Prägung dazu. Komplizierter noch wird es, wenn man für diesen Verein arbeiten möchte. Kein Problem zunächst, einmal hineinzuschnuppern. Eine Tätigkeit als Messdiener entspricht einem Praktikum, auf dem aufgebaut werden kann. Später dann akademische Laufbahn, Theologiestudium, Priesterseminar, Weihe. Für Kost und Logis ist gesorgt, karges, aber ausreichendes Gehalt, Dienstwagen, interessante Dienstkleidung, gute interne Aufstiegschancen und die Chance, als Angestellter einer multinational tätigen Firma die Welt kennen zu lernen. Zudem: Die Rente ist sicher.

Im Gegenzug allerdings ist man als Angestellter verpflichtet, hundertprozentig hinter der Firmenideologie zu stehen – als reiner Kunde kann man aus dem Sortiment wählen, was einem gefällt und was nicht. Während die meisten Kunden die Sexualmoral des Hauses links liegen lassen, hat der Klerus den Zölibat an der Backe. Es gibt viele Großunternehmen, die ihren Mitarbeitern per Entlassungsdrohung untersagen, untereinander in sexuelle Kontakte zu treten. Als Priester muss man die Sexualität ganz an den Nagel hängen, es ist ein Kreuz. Unter der Hand wird einem geraten, seine Sexualität zu sublimieren – ausgerechnet der verfemte Freud wird den jungen Seminaristen ans Herz gelegt – oder es mit fernöstlichem Tantra zu versuchen: Höhepunkte ohne Ejakulation.

Natürlich ist es bei diesem Job auch nicht anders als im richtigen Leben: So wie nicht jeder Bild-Reporter tatsächlich an die Grundsätze Axel Springers glaubt, die er zur Einstellung unterschreiben musste, fährt auch nicht jeder Angestellte von Mercedes einen Wagen mit Stern. Der katholische Priester hat zum Beispiel in der Regel eine Haushälterin, manchmal einen Freund und gelegentlich eine genauso heimliche wie ausgelebte Vorliebe für blutjunge Messdiener. Da geht schon was – aber es ist selten schön für alle Beteiligten. Die größte Herausforderung des Jobs besteht darin, den Zölibat ohne Ausbruch einer Psychose zu überstehen oder sich wegen Verführung Minderjähriger strafbar zu machen.

In Anbetracht dieser Ausgangslage war es nicht geschickt, den Weltjugendtag in Köln auszurichten, also inmitten des modernen Europa. Der Nachwuchs der katholischen Kirche in ihrer jetzigen Form liegt in der Dritten Welt, in Lateinamerika – überall dort also, wo es noch einem sozialen Aufstieg gleichkommt, Priester zu werden.

So wie sich die vatikanische Kirche derzeit präsentiert, ist es ungefähr genauso attraktiv, Priester zu werden wie islamistischer Selbstmordattentäter – was nicht bedeutet, dass es nicht auch unter jungen Europäern immer wieder Freiwillige gibt. Die TeilnehmerInnen des Weltjugendtages in Köln werden wohl einen Teufel tun, sich an die Anweisungen der alten und nur selten lebensweisen Männer zu halten.

Sie werden zueinander kommen – und zwar auch paarweise. Die erotisch timbrierte Nächstenliebe wird fröhlich Urständ feiern, und weil es sich um vernünftige Jungen und Mädchen handelt, werden sie während ihrer wohl nicht der Fortpflanzung dienenden Liebesakte Kondome benutzen.

MARTIN REICHERT, 32, taz.mag-Autor und eher zurückhaltender Protestant, wuchs in der erzkatholischen Eifel auf: Er wollte in seiner Jugend nur kurzzeitig Priester werden