: Der Turmbauer zu Basel
Der Kaffehausbesitzer und Filmemacher Daniel Häni aus Basel glaubt, dass nur der Gutes leistet, dem es gut geht
AUS BASEL PETER UNFRIED
Im Sommer hat Daniel Häni in der Innenstadt von Basel einen Turm aufgebaut. Was war die Idee? „Dass die Menschen nicht konsumieren, sondern neue Einsichten haben“. Und – hatten sie? Ja. Sie sahen ein anderes Basel. Jedenfalls sagten sie ihm das. Einer maulte, es habe oben nichts zu trinken gegeben.
Es gab selbstredend jede Menge Bedenken gegen ein turmartiges Gerüst in der Fußgängerzone. Was ist, wenn sich einer runterstürzt? Wer genehmigt das? Es stellte sich heraus: Es gibt kein Gesetz. Das Aufstellen eines Gerüstes zum Zwecke des Gewinns von neuen Perspektiven ist in dieser Welt nicht vorgesehen. Und so konnte das Projekt „neuland“ auch nicht untersagt werden. Was Häni in seinem Mantra bestätigt hat. Es lautet: „Es geht ganz gut, was alles nicht geht.“
Mit diesem Lebens- und Arbeitsansatz steuert er auf sein bisher größtes Projekt zu: Zusammen mit seinen Mitstreitern will er eine Volksabstimmung der Schweizer über die Frage der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens herbeiführen. „Die ganze Bevölkerung soll sich damit auseinandersetzen und dann eine Willensbekundung abgeben, ob es in diese Richtung gehen will“.
Die Idee gibt es seit Langem. In Deutschland hat der Unternehmer Götz Werner (dm-Drogeriemarkt) das Konzept bekannt gemacht. Häni beschäftigt die Sache seit 1991. 2006 hatte er den Eindruck, die Zeit sei reif, und gründete zusammen mit dem Frankfurter Künstler Enno Schmidt die „Initiative Grundeinkommen“.
Zusammen haben sie mehr als ein Jahr an dem Dokumentarfilm „Grundeinkommen – ein Kulturimpuls“ gearbeitet. Mit dem Film touren sie seither durch die Schweiz und Deutschland: Etwa 200.000 Menschen haben ihn bereits gesehen. Solche Filme entlassen das Publikum häufig mit einem Gefühl der Wut, aber auch der Ohnmacht: so nicht. Aber keine Ahnung, wie sonst. „Grundeinkommen“ ist anders. Er bringt einen auf den aktuellen Stand der Diskussion und macht Lust, weiter darüber nachzudenken, ob es so wohl tatsächlich gehen könnte.
Ehemalige Bank
An diesem Tag sitzen Schmidt und Häni im „unternehmen mitte“ in Basel. Hier war mal der Hauptsitz der Schweizerischen Volksbank. Häni und ein paar Freunde haben daraus vor zehn Jahren ein Kaffeehaus gemacht. Der Einsichten-Turm wurde aus Anlass der Feierlichkeiten aufgebaut. Das Haus gehört jetzt einer anthroposophischen Stiftung. Häni ist einer von drei Geschäftsführern und Teilhaber der gemeinnützigen GmbH. Im obersten Stock wohnt er mit seinen Kindern.
Es ist ein schönes Gebäude im Zentrum der Altstadt. Vier Etagen plus Keller plus Dachgeschoss. Ein Baustilmix, den man am ehesten Historismus nennen könnte. Hohe Räume, viel Luft und Licht. Das Herzstück des Kaffeehauses ist die ehemalige Schalterhalle. In den oberen Stockwerken sind Arbeitsplätze an etwa 100 Leute aus dem kulturkreativen und dem NGO-Milieu vermietet. Vorn, zur Gerbergasse hin, hat es zwei Bars namens „fumare non fumare“. Um die tausend Gäste zählt man täglich. Studierende, Kreative, teuer angezogene Laptop-Frauen, Omis. Mittwochs ist Kindertag. Und abends kommt auch noch die Gymnasial-Oberstufe. Unter anderem, weil es im „unternehmen mitte“ keinen Konsumzwang gibt. Man kann hier ausdrücklich sein, ohne etwas kaufen zu müssen. Also bedingungslos. An einer Wand prangt jener Satz, der die Idee des Grundeinkommens mit der Emotionalität und der Präzision eines Popsong-Refrains auf den Punkt bringt: Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?
Ein starker Satz. Wenn man sich auf ihn einlässt. Wenn Einkommen getrennt von Arbeit funktioniert, entsteht die Freiheit, „Leck mich am Arsch, Chef“ zu sagen. Aber worin besteht die Sinnmaximierung der mir dann zur Verfügung stehenden Arbeitszeit? Im Film ist ein Tenor: Ich würde dasselbe machen wie jetzt auch. Nur anders. Und nicht unbedingt für denselben Arbeitgeber. Einige sagen auch, sie fürchten, dass andere dann nichts mehr arbeiteten.
Das Grundeinkommen wird parteien- und ideologienübergreifend propagiert und abgelehnt. Konservative dafür, Linke dagegen – und umgekehrt: Das macht es interessant. Der Gedanke in Kurzform: Jeder Erwachsene bekommt bedingungslos 1.500 Euro pro Monat, jedes Kind die Hälfte. Der Einkommenstransfer soll über eine Abgabe auf den Konsum erfolgen. Die meisten bisherigen Transfers und Steuern fallen weg. Es gibt ökonomische Zweifel: nicht finanzierbar, eine hohe Konsumsteuer macht alles viel zu teuer; Gerechtigkeitszweifel: Es ist ungerecht, wenn alle gleich viel bekommen – unabhängig von der Bedürftigkeit; und sozial-psychologische Bedenken: So was treibt nicht mich, aber andere in die Hängematte der Faulheit.
Für Enno Schmidt, 50, ist letzteres Gedankengut die „Fortsetzung einer Gesellschaft, die extrem mit Ausschluss arbeitet“. Er sieht von 200 vielleicht einen, der sich mit dem Geld ganztags „das Bier über die Jogginghose kippt“ – und plädiert dafür, sich auf die anderen zu konzentrieren. Es geht nicht darum, ob der Mensch „gut“ ist. Es geht auch nicht um Klassenkampf und Umverteilung von oben nach unten. Ein Grundeinkommen, sagt Schmidt, „sorgt einfach nur dafür, dass Armut aufgehoben wird und Menschen etwas machen können“.
Daniel Häni, 43, wuchs als Halbwaise auf, in kleinbürgerlichen Verhältnissen. Machte eine Lehre als Vermessungszeichner, studierte Siedlungsplanung. Er kommt aus dem Ort Mühleberg im Kanton Bern, Sitz eines von vier Schweizer Atomkraftwerken. Eine Jugend als AKW-Gegner liegt da nahe. Später wurde er Hausbesetzer. Er nennt es „Hausbeleber“. Die Umfunktionierung des Bankgebäudes ist eine logische Fortsetzung. Häni lebt seit 1987 in Basel, zum Establishment wird er nicht gezählt, zu den Gastropromis auch nicht. Hinter seinem Schreibtisch stehen 350 Bücher von Rudolf Steiner. Er ist kein Charismatiker vom Schlag eines Daniel Cohn-Bendit, er spricht leise, am Ende vieler seiner Sätze hängt das gebräuchliche Deutschschweizer „oddr?“ an. Das ist keine wirkliche Frage. Eröffnet aber Raum für „Teilnahme, Bestätigung und Abstimmung“, sagt Häni.
Das Interessante an Häni ist, dass er für das Grundeinkommen – wie Götz Werner – auch aus Unternehmerperspektive plädiert. In einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft müsse man darauf schauen, dass es den Menschen gut gehe, damit sie etwas Gutes leisten könnten. Die Leistung müsse frei und erst der Konsum besteuert sein. Er glaubt, ein besseres Unternehmen führen zu können, wenn die menschliche Arbeit und die Löhne nicht mehr durch Abgaben und Steuern belastet, sondern durch Grundeinkommen subventioniert werden. „Und wenn die Leute weniger gezwungen werden können zu arbeiten, müssen die Unternehmen sich etwas einfallen lassen, warum die Menschen das tun sollen.“
Was bietet er seinen Mitarbeitern jetzt, damit sie hier arbeiten? „Einen tollen Ort, tolle andere Mitarbeiter und eine Unternehmensidee, die nicht in Gewinnmaximierung liegt, sondern in Sinn.“ Aber Sinn ersetzt nicht einen Teil des Gehalts? „Nee, nee.“
Kündigung nach dreimal
Wer argwöhnte, es handele sich um einen altzauseligen Sozialromantiker, merkt spätestens jetzt, dass er schiefliegt. Das „unternehmen mitte“ lebt von Eigenverantwortung und Identifikation seiner Mitarbeiter. Aber es ist keine alternative Klitsche. Der Laden hat 363 Tage im Jahr geöffnet. Damit werden den etwa 40 Mitarbeitern gute und konkurrenzfähige Löhne gezahlt. Und wer dreimal zu spät kommt, fliegt raus.
Ist das „links“? In Basel raunen manche, der Laden mache „Geld wie Heu“. Das Geraune gebe es, bestätigt Häni. Und 3 Millionen Schweizer Franken Jahresumsatz. Aber Geld sei nicht Ziel, sondern Basis. Es gehe darum, ob und wie ein gemeinnütziges Unternehmen mit dem Kapital Sinn schafft. „Sinnmaximierung“ ist sein Wort. Seine Berufsbezeichnung lautet „Unternehmer und Kulturraumschaffender“. Man könnte sagen: Häni ist der Typ des modernen Social Entrepreneurs, dessen unternehmerische Tätigkeit im Kapitalismus auf das Ziel eines gesellschaftlichen Wandels fokussiert ist.
Freiraum für Veränderung
„Daniel führt durch Fragen“, sagt Benjamin Hohlmann, Leiter des Cafés im „unternehmen mitte“. Hohlmann ist 26 und brachte keinerlei gastronomische Erfahrung mit. Häni gab ihm den Job und die Freiheit, ihn selbst zu definieren. Häni sei überzeugt, dass Veränderung durch den Einzelnen komme. Dafür wolle er anderen den nötigen Freiraum zur Verfügung stellen.
Mal ganz zu schweigen von der Transformation der Arbeitsgesellschaft und dem Schwinden der Festanstellungen: Häni ist ziemlich sicher, dass die Krisen des 21. Jahrhunderts, Klimawandel, Energiekrise, Globalisierungskrise, Finanz- und Wirtschaftskrise, „nur von Menschen gelöst werden, die einen gewissen Freiraum und eine gewisse Basis haben“. Also ein Grundeinkommen. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, sagt er, „und wenn du an der Moral arbeiten willst, musst du sehen, dass das mit dem Essen geklärt ist.“ Das ist Brecht, aus dessen marxistischer Perspektive das Grundeinkommen selbstverständlich zu wenig Umwälzung ist, um die Verhältnisse zu wenden. Dafür geht das symbolische Prunkstück im „unternehmen mitte“ eindeutig in seine Richtung: der leere Banktresor.
An einem anderen Tag in einem Café in Berlin-Kreuzberg. Häni hat inzwischen ein iPhone. Es zeigt Videos und Bilder zurückliegender Aktionen. Was er damit sagen will: Die Sache kriegt Fahrt. Er spricht von einem Lieblingsprojekt: demnächst 10, 50 oder 100 Leuten ein bedingungsloses Grundeinkommen zu verpassen. Damit es passiert. Und um zu sehen, was dann passiert. Er hat inzwischen auch noch mehr Routine, die Argumente der Gegner zu parieren. Reichensteuer, sagt er, sei nur Buße und letztlich Legitimation dafür, andere „abzuzocken“. Den Mindestlohn bezeichnet er als „Kampf für bessere Versklavungsbedingungen“. Das bedingungslose Grundeinkommen dagegen stelle die Sklaverei infrage. Er nimmt eine Postkarte, verteilt die Milliarden im Bundeshaushalt für soziale Leistungen neu, listet auf, rechnet aus. Am Ende passt alles, und unter dem Strich stehen zwei Wörter: „Weniger Staat.“
Hm? Ja, sagt er: Das Grundeinkommen ist ein bedingungsloser Transfer, den der Staat nur treuhänderisch regelt. Die Streiterei und das Geklüngel um Geldverteilung fällt damit weitgehend weg. Also: weniger Staat.
Für seine Verhältnisse ist Daniel Häni jetzt fast euphorisch.