Glaube darf sichtbar sein

ASYL EuGH: Schutz vor Verfolgung darf nicht mit dem Argument verweigert werden, man könne daheim seine Religion privat zeigen. Deutschland muss Rechtsprechung ändern

Geschützt ist „die Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben“

EUROPÄISCHER GERICHTSHOF

VON CHRISTIAN RATH

FREIBURG taz | Europa macht das deutsche Asylrecht etwas großzügiger. Von religiösen Minderheiten kann künftig nicht mehr verlangt werden, dass sie in der Heimat ihren Glauben nur im Stillen leben, um politische Verfolgung zu vermeiden. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in zwei Fällen aus Deutschland.

Konkret ging es um zwei Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Ahmadi-Muslime, die aus Pakistan nach Deutschland flohen. Die Ahmadi sind eine im 19. Jahrhundert gegründete innerislamische Erneuerungsbewegung, die weltweit zehn Millionen Anhänger hat, viele davon in Pakistan. Dort gelten sie aber als Abtrünnige, die sich zu Unrecht auf den Koran berufen. Deshalb droht ihnen dort Haft bis zu drei Jahren, wenn sie sich als Muslime bezeichnen. Wenn sie sich auf den Propheten Mohammed berufen und ihn dadurch angeblich verspotten, droht ihnen sogar der Tod wegen Gotteslästerung.

Die Asylanträge der beiden Ahmadi wurden in Deutschland dennoch abgelehnt. Es sei ihnen zuzumuten, nach Pakistan zurückzukehren und sich nicht als Ahmadi zu erkennen zu geben. Das Asylrecht schütze nur den Kernbereich der Religionsfreiheit, also den Glauben, nicht aber dessen sichtbare Ausübung.

Diese restriktive Auslegung hat in Deutschland Tradition, obwohl sie schon immer der Genfer Flüchtlingskonvention widersprach. Seit 2004 gilt allerdings in der EU die Qualifikationsrichtlinie, die Mindeststandards für die Asyl-Anerkennung aufstellt. Deshalb fragte das Bundesverwaltungsgericht beim EuGH an, ob die restriktive deutsche Rechtsprechung mit EU-Recht vereinbar ist.

Der EuGH entschied nun, dass das Asylrecht nicht nur vor Eingriffen schütze, die die Religionsausübung im privaten Kreis betreffen, sondern auch „die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben“. Es sei einem Flüchtling auch nicht zuzumuten, bei einer Rückkehr „auf bestimmte Glaubensbekundungen zu verzichten, um eine Gefahr der Verfolgung zu vermeiden“. Die drohenden Sanktionen müssten allerdings „schwerwiegend“ sein – was aber im konkreten Fall bei drohender Haft oder sogar Todesstrafe gegeben sein dürfte. Die endgültige Entscheidung muss dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig treffen.

Pro Asyl begrüßte das Urteil des EU-Gerichthofs. „Endlich gelten Völker- und EU-Recht auch in Deutschland“, sagte Asylrechtsexpertin Marei Pelzer. Das UN-Flüchtlingshilfswerk sprach von einem „deutlich verstärkten Schutz“.

Das Urteil dürfte neben den Ahmadi-Muslimen zum Beispiel auch konvertierte Christen betreffen, die aus dem Iran geflohen sind, oder chinesische Angehörige der Falun-Gong-Sekte.

Außerdem könnte der Ansatz des EuGH auch auf homosexuelle Flüchtlinge übertragen werden. Auch von ihnen verlangten manche deutsche Gerichte, sich im Heimatland nicht als Schwuler oder als Lesbe zu erkennen zu geben. (Az. C-71/11 u. a.)

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