: Der starke Mann von Karlsruhe
Paul Kirchhof war bis 1999 einer der mächtigsten und politischsten Verfassungsrichter dieser Republik
BERLIN taz ■ „Das ist mein teuerster Richter.“ Mit diesen Worten wurde Paul Kirchhof einmal vom damaligen Finanzminister Theo Waigel vorgestellt. Eine durchaus treffende Beschreibung für Kirchhof, der als Richter am Bundesverfassungsgericht mehrere milliardenschwere Urteile vorbereitet hatte.
Kirchhof war einer der politischsten Richter, die das Bundesverfassungsgericht je gesehen hat: voller Gestaltungsdrang, kreativ und sprachmächtig. Von 1987 bis 1999 war Kirchhof im Zweiten Senat für das Steuerrecht sowie das Völker- und Europarecht zuständig.
Vor allem im Steuerrecht gelang es ihm, Urteile von grundlegender Bedeutung durchzusetzen. So rügte Karlsruhe 1991 die nachlässige Besteuerung von Kapitalzinsen und setzte die Steuerpflicht erst mal aus, weil sie zu leicht umgangen werden konnte. 1993 erklärte das Gericht das Existenzminimum aller Bürger für steuerfrei. 1995 wurde eine Neuregelung von Vermögen- und Erbschaftsteuer verlangt, die letztlich zur Streichung der Vermögensteuer führte. Kirchhofs letztes Milliardenurteil erging Anfang 1999. Damals setzte der vierfache Vater durch, dass Familien steuerlich um einige Milliarden zu entlasten sind.
Dieses Urteil erhielt nach anfänglicher Euphorie auch viel Kritik, weil es seine volle Wirkung nur bei den Kindern gut verdienender Eltern entfaltet. Wer nichts oder wenig verdient, kann mit großzügigen Steuerfreibeträgen nichts anfangen. Zwar hat Rot-Grün anschließend auch das Kindergeld deutlich erhöht, um keine allzu große Kluft entstehen zu lassen. Die größte Förderung bekommen allerdings auch heute noch die – am wenigsten bedürftigen – Kinder der Reichen. Für Kirchhof ist der Steuerverzicht jedoch keine politisch motivierte „Förderung“, sondern logische Folge einer – das heißt: seiner – Auslegung des Grundgesetzes.
Kirchhof ist ein beeindruckender Redner, der meist frei spricht, geleitet nur von kleinen Karteikärtchen. Auch in seinem Senat soll der 1,97m große Jurist mit seiner rhetorischen Kraft sehr dominant gewesen sein. Mitarbeiter am Gericht nannten ihn spöttisch „Domplatz“, der Name „Kirchhof“ werde seinem Geltungsdrang nicht gerecht. Allerdings hatte er als Richter auch Niederlagen zu verkraften. So musste er hinnehmen, dass das Verfassungsgericht die Einführung des Euros akzeptierte, obwohl er im Maastricht-Urteil 1993 strategisch geschickt die Grundlagen für eine Ablehnung der Währungsunion geschaffen hatte.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Verfassungsgericht ging Kirchhof als Professor an die Heidelberger Universität zurück. Seit 2003 ist er auch Mitherausgeber der konservativen Wochenzeitung Rheinischer Merkur, und seit Oktober 2004 sitzt er im Aufsichtsrat der Deutschen Bank.
Fast wäre er voriges Jahr sogar Bundespräsident geworden. In der Nacht, als Union und FDP schließlich Horst Köhler als ihren Kandidaten nominierten, war bis zuletzt auch Kirchhof im Rennen. Der heute 62-Jährige ist parteilos, steht aber der Union nahe.
CHRISTIAN RATH