Sie waren nur geduldet

AUSSTELLUNG „Fremd bin ich den Menschen dort“ in der Frankfurter Nationalbibliothek beleuchtet 16 Einzelschicksale von Emigranten, die vor den Nazis ins Ausland flüchteten

Oft entschied purer Zufall über die Überlebenschancen der Emigranten in ihrer neuen Heimat

VON RUDOLF WALTHER

Aus Anlass der Gründung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, inzwischen heißt sie Nationalbibliothek, vor 100 Jahren, zeigt das Institut zusammen mit dem Deutschen Exilarchiv die Ausstellung „Fremd bin ich den Menschen dort“. Betreut von der Kuratorin Silvia Asmus, dokumentiert sie anhand 16 individueller Lebensgeschichten – insgesamt verließen rund 500.000 Menschen Deutschland –, wie unterschiedliche die Schicksale von Exilanten gewesen sind.

Gemeinsam war diesen 16 Emigranten nur, dass sie unter dem Terror des nationalsozialistischen Regimes gegen Juden, Sozialdemokraten, Pazifisten, Gewerkschafter und Kommunisten das Land verlassen mussten. Sie waren sensibel genug, um rechtzeitig zu erkennen, dass ihnen Gefahr drohte. Alter, Beruf, Geld und Sprachkenntnisse waren dafür entscheidend. Oft entschied purer Zufall die politischen Wechselfälle in den Gastländern und die Solidarität unter den Emigranten. Auch die Chancen einer Rückkehr waren von unterschiedlichsten Faktoren abhängig, die die Einzelnen nur zum Teil beeinflussen konnten.

Die 16 Biografien, illustriert mit Dokumenten aller Art, Büchern und anderen Exponaten, vor allem aber auch Bild-, Ton- und Filmaufnahmen, die die Besucher über einen Audioguide anhören und ansehen können, belegen eines sehr deutlich: den Emigranten oder die Emigrantin gab es nicht, denn zu unterschiedlich waren die Voraussetzungen vor, bei und nach der Flucht vor der rassischen und politischen Verfolgung.

Die ingeniöse Ausstellungsarchitektur (Büro unodue, München) wird der Vielfalt der Wege und Irrwege gerecht und schreibt dem Besucher keinen Parcours vor, sondern lädt ihn ein zum Wandern in alle Richtungen. Auch für die Emigranten stellte sich damals als erste Frage: Wohin kann, darf und soll ich mich begeben, um sicher zu sein und überleben zu können.

Fluchtweg als Falle

Exemplarisch für einen Fluchtweg, der sich bald als Falle herausstellte, ist das Schicksal von Margarete Buber-Neumann (1901–1989). Zunächst verheiratet mit einem Sohn Martin Bubers, schloss sie sich als Kommunistin dem KPD-Funktionär Heinz Neumann an und floh mit diesem 1935 nach Moskau. Dort geriet Neumann bald ins Visier von Stalins Geheimdienst, der den Emigranten ermorden ließ. Im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts lieferte Stalin deutsche Kommunisten – darunter Margarete Buber-Neumann – an die Nazis aus. Für diese bedeute das, dass sie aus der Überwachung in der Sowjetunion direkt ins Konzentrationslager Ravensbrück überstellt wurde, wo sie von 1940 bis 1945 interniert war.

Der Finanzwissenschaftler Fritz Neumark (1900–1991) floh wie zahlreiche andere Sozialwissenschaftler in die Türkei. Er wurde dort als Fachmann hoch geschätzt. Allerdings baute die Türkei erhebliche Hürden auf. Die Ernennung zum Professor wurde von den türkischen Behörden davon abhängig gemacht, dass Neumark nach drei Jahren Übergangsfrist auf Türkisch unterrichtete. Das bedeutete, sich die fremde und schwierige Sprache anzueignen oder beruflich zu scheitern. Nicht alle Emigranten waren dieser enormen Anstrengung gewachsen. 1946 folgte Neumark dem Rat des Sozialdemokraten und späteren Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter, „dass man umso fester neu Fuß fassen kann, je eher man da ist“, und kehrte nach Frankfurt zurück, wo er Rektor der Universität wurde.

Ganz andere Facetten zeigt der Fall Ernst Loewy (1920–2002). Er floh als Jugendlicher auf eigene Faust nach Palästina, fand aber am Leben und Arbeiten in landwirtschaftlichen Betrieben keine Befriedigung und kehrte 1957 in die Bundesrepublik zurück. Hier konnte er – als Vierzigjähriger – endlich Germanistik studieren und gab später der deutschen Exilliteraturforschung wichtige Impulse.

Ein Autor verstummt

Der vor der Nazi-Diktatur sehr erfolgreiche Schriftsteller Leo Perutz (1882–1957) floh ebenfalls nach Palästina, aber er fühlte sich immer als „Fremdkörper hier im Land“, was auch an seinem Alter und seinen Sprachschwierigkeiten lag. Er geriet als deutscher Schriftsteller völlig in Vergessenheit, verstummte und kehrte dem Land den Rücken.

Die Dichterin Emma Kahn (1914–1988) floh nach England, dann nach Belgien und schließlich über Kuba in die USA. Aus einem ihrer Gedichte stammt der Ausstellungstitel „Fremd bin ich den Menschen dort“, obwohl sie zeitweise auf Englisch publizierte. Die Erfahrung des Fremd- und Nurgeduldetseins kränkte viele Emigranten.

Die informative Ausstellung präsentiert auch emotional berührende Objekte – zum Beispiel eine aus Sackleinen zusammengenähte Tasche, auf die Irma Lange ihrem Sohn ihre Emigrationsgeschichte – vom Polizeiverhör ins Internierungslager – in der Art „naiver“ Malerei aufstickte oder mit farbigem Filz aufnähte. Naiv ist daran im Rückblick freilich gar nichts.

■ Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt am Main, bis 20. Oktober