piwik no script img

Archiv-Artikel

„Jeder sollte sich gegen Grippe impfen lassen“

Der Virologe Christian Drosten warnt davor, die Vogelgrippe zu unterschätzen und der Pharmabranche Kalkül zu unterstellen. „Wir brauchen die Industrie“, sagt der Entdecker des Sars-Erregers, „die Universitäten allein bewältigen den Entwicklungsaufwand nicht mehr“

taz: Herr Drosten, die Angst vor der Vogelgrippe grassiert, andere Seuchen werden ignoriert. Konzentriert sich die Politik auf das richtige Thema?

Christian Drosten: Tatsächlich müsste man Afrika bei Malaria, Aids und Tuberkulose stärker unterstützen. Das ist lange bekannt. Doch besteht hier nicht die Gefahr, dass eine völlig neue globale Epidemie ausbricht …

aber bei der Vogelgrippe?

Bisher ist es eine Tierseuche. Es ist jedoch alarmierend, dass sie seit dem Winter 2003/2004 auch in Ländern wie Japan oder Südkorea ausbricht – also in Staaten mit einer funktionierenden öffentlichen Infrastruktur.

Hätte die Weltgesundheitsorganisation nicht viel früher in Südasien aktiv werden müssen, um ein Ausbreiten der Seuche zu verhindern?

Das ist nicht so einfach. Es ist am effizientesten, die Hühnerbestände zu keulen. Das gelingt aber kaum in Ländern wie Vietnam, wo jeder unkontrolliert Hühner im Garten hält – und sie als Existenzgrundlage braucht.

Bisher überträgt sich das Virus nicht von Mensch zu Mensch. Daher kursiert der Verdacht, dass die Pharmabranche Panik schürt, um an nutzlosen Impfstoffen zu verdienen.

Nein, die Grippegefahr ist real – wir brauchen die Industrie. An den Universitäten allein ist der Entwicklungsaufwand nicht mehr zu bewältigen.

Gibt es schon Erfolge?

Die jüngste US-Studie ist ein bisschen enttäuschend, leider. Die nötigen Impfdosen sind so hoch, dass der Schutz derzeit nur für einen ausgewählten Personenkreis reichen würde. Aber in Zukunft sind Fortschritte zu erwarten.

Blieben Medikamente. Bisher reichen die Vorräte in Deutschland aber nur für 10 Prozent der Menschen.

Das ist zu wenig, um bei einer Epidemie die Infektionswege zu unterbrechen. Es sollte Medikamente für mindestens 20 Prozent der Bevölkerung geben.

Zuständig sind bisher die Länder. Das Robert-Koch-Institut schlägt vor, das Grundgesetz zu ändern, damit der Bund den Einkauf zentral übernimmt.

Das Problem der Risikoabwägung bleibt. Die Medikamente sind teuer und haben ein Verfallsdatum, im Ernstfall muss aber ein großer Vorrat vorhanden sein.

Hilft Abschottung? Sollte der Bundesgrenzschutz Einreisende auf verdächtige Symptome kontrollieren?

Es gibt noch keine klinische Definition für die Symptome. Aus Südostasien wissen wir, dass sich die Vogelgrippe atypisch äußern kann: Manche Kinder litten nur an Durchfall, nachdem sie sich bei Hühnern angesteckt hatten.

Also nichts tun?

Es sollten sich viel mehr Bürger gegen die normale Grippe impfen lassen. Das Virus muss mutieren, um für den Menschen gefährlich zu werden. Das wahrscheinlichste Szenario ist momentan, dass dies im Körper von jemandem geschieht, der gleichzeitig mit der normalen und der Vogelgrippe infiziert ist.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN