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Archiv-Artikel

Eine fremde Gemütlichkeit

GROPIUSSTADT „Die weiße Residenz“, das klingt nach einer schicken Wohnanlage für Pensionäre aus der Upperclass. Tatsächlich werden unter diesem Titel künstlerische Fotografien aus der Gropiusstadt gezeigt

VON RONALD BERG

„Das Image der Gropiusstadt war lange schlecht, jetzt ist es nicht mehr ganz so schlecht“, sagt Birgit Anna Schumacher. Sieben Jahre lang leitete sie das inzwischen nicht mehr existierende internationale Residenzprogramm „Pilotprojekt Gropiusstadt“. Über 200 Künstlern wurde in diesem Zeitraum kostenfrei eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Ziel war es, temporäre Interventionen im öffentlichen Raum der Gropiusstadt zu entwickeln und umzusetzen. Die Aktionen trugen Titel wie: „Morgen um 21:18 Uhr wird ein Indianer in Ihrer Straße schlafen gehen“. Eine japanische Künstlerin versuchte etwa, auf dem Mittelstreifen der Johannisthaler Chaussee ein in Lebensgröße vorgefundenes Dinosauriermodell mittels einer selbstgezimmerten Leiter zu erklimmen.

Etliche der Künstler des Residenzprogramms haben während ihres Aufenthalts in der Gropiusstadt fotografiert. Diese Arbeiten bilden nun das Gros der Jubiläumsausstellung aus Anlass von „50 Jahre Gropiusstadt“. Birgit Anna Schumacher und ihre Kuratorenkollegin Anja Dau glauben, dass der fotografische Blick der 92 beteiligten Künstler auf die Gropiusstadt die gängigen Klischees zwischen „Ikone der Architekturmoderne“ und „Hochhaus-Ghetto“ vermeidet.

Das Gemeinschaftshaus der Gropiusstadt am Bat-Yam-Platz liefert dazu als Ausstellungsort die ortstypische Atmosphäre. Das kulturelle Zentrum vom Ende der sechziger Jahre mit seinen Veranstaltungssälen und der Bibliothek wirkt von außen verschlossen und festungsartig, entpuppt sich aber von innen als idyllisch, ja fast gemütlich. Der Ort scheint so etwas wie die Gropiusstadt in nuce darzustellen. „Außenwahrnehmung und Innenansicht differieren bei der Gropiusstadt wie kaum anderswo“, weiß Birgit Anna Schumacher zu berichten.

Die auf Plakatgröße auf Aluplatten gedruckten Fotos selbst zeigen allesamt weder Sensationen noch Skandale, sondern entdecken das Typische und Sprechende im Alltag des Viertels. Spektakulär wird es nur beim Blick auf die Skyline, besonders eindrucksvoll im Zwielicht mit sich verfärbendem Himmel und den vielen Lichtern der Hochhausstadt. Am Tage wirkt die Silhouette der Gropiusstadt aus der Ferne – auch das kann man einem der Fotos entnehmen – dagegen rein und weiß. So erklärt sich auch der Titel der Ausstellung: „Die weiße Residenz“.

Aus der Nähe differenziert sich das Bild: Eher grau und öde erscheinen die Flächen rings um das Shopping-Center an der Wutzkyallee, wäre da nicht ein jugendlicher Radfahrer, der den Platz nutzt und Leben hineinbringt. Das Bild zeigt etwas Symptomatisches über die Verhältnisse in der Gropiusstadt: Es kommt immer darauf an, was man daraus macht. Und es kommt auf die Perspektive an. Es gibt da beispielsweise ein Bild wohl aus dem Inneren einer Kirche. Die rechts im Foto angeschnittene Orgel spricht dafür. Auf den ersten Blick eigentlich nichts Besonderes. Ein Regal mit den Gesangsbüchern, eine Bank mit einem liegen gelassenen Kleidungsstück. Der durch die Glaswand hereinschimmernde Bewuchs in Form eines Kreuzes könnte einem auffallen. Doch das Anekdotische hält sich eher dezent im Hintergrund.

Die Auswahl der Künstler wie der Fotos in dieser Ausstellung ist subjektiv, die Hängung der Arbeiten zueinander folgte Assoziationen der Ausstellungsmacherinnen. Was dem einen als belanglos erscheint, empfindet eine andere als schön. Es gibt Künstler in der Ausstellung, die interessieren sich für Handläufe an Treppen. Sieht man die 15 zueinander gebrachten Beispiele aus Hausfluren und Treppenhäusern an, wird plötzlich aus dem banalen Gegenstand ein vielgestaltig schillerndes Etwas, schlangenhaft manchmal oder kryptische Zeichenhaftigkeit vermittelnd.

Es gibt in dieser Schau aber auch Künstler, die bewusst verfremden. Ob ihnen die Gropiusstadt fremd geblieben ist oder sie die Banalität in dieser Schlafstadt nicht ertragen haben, lässt sich den Fotos nicht entnehmen. Oft reicht es aber schon aus, den Blick der Kamera streng in die Vertikale zu richten: Diese Perspektive macht aus den bekannten Rasterfassaden oder Briefkästen surreale Landschaften, deren nahe liegende Herkunft aus der engsten Umgebung verblüfft.

Manchmal gelingt der Verfremdungseffekt aber auch durch größte Sachlichkeit. Ein nächtlicher Hauseingang, menschenleer und im Kunstlicht der ihm eigenen Beleuchtung aus dem Dunkel der Umgebung prominent herausgehoben, steht wie bereit für ein Ereignis, das man sich in den buntesten Farben ausmalen kann, obwohl das Foto im edlen Schwarzweiß daherkommt. Kriminalistische Ahnungen erzeugt auch die von hinten geblitzte Frau auf dem Weg zum Eingang des Ideal-Hochhauses auf einem anderen Foto. Das Gebäude ist auch unter dem Namen „Selbstmörderhaus“ bekannt.

Keines der Fotos in der Ausstellung ist inszeniert. Sie zeigen Menschen, die uns im Alltag gar nicht aufgefallen wären, obwohl oder gerade weil sie Ort und Milieu auf den Punkt bringen. Manche erzählen von Schicksalen, die hinter den Hausfassaden sich im Verborgenen abspielen. Nun kann man die abgelichteten Szenen mit Anteilnahme oder Voyeurismus betrachten – etwa einen der vielen Rentner in seiner schon halb leeren Wohnung unmittelbar vor dem Umzug ins Altersheim.

Die Fotografien der Ausstellung belegen, wie vielfältig die Facetten der Gropiusstadt sind und wie wechselhaft die Perspektiven, je nach Standpunkt, Interesse oder Wahrnehmungsfähig. In Gropiusstadt lässt sich viel entdecken. Man muss es nur suchen.

■ Galerie im Gemeinschaftshaus, Bat-Yam-Platz 1, Di.–Sa. 10 bis 20 Uhr. Bis 21. Dezember