Pope Parade

Und siehe, er wurde Pop! Nur ist, wo Pop draufsteht, beim Weltjugendtag vor allem Seichtes drin. Befund der Stunde: Der Papst befindet sich mittendrin in der Diktatur des kulturellen Relativismus

In den USA hältder spirituelle Hype unter dem Rubrum „Christian“ längst einen stabilen Anteil am Popmarkt

VON RALF NIEMCZYK

So. Das war’s jetzt hoffentlich. Eine monströse Open-Air-Messe auf dem Gelände eines zugeschütteten Braunkohletagebaus noch. Zum Abschied spielen der Erbaulichkeitsheuler Patrick Nuo und die Big Band der Bundeswehr auf der Hauptbühne des Marienfelds. Und dann verschwindet der x-mal durchgenudelte Aufsager vom „Papst als Popstar“ wieder im Zettelkasten von Ulrich Wickert. Bis zum nächsten Katholiken-Mayday. Doch was bleibt, mal abgesehen von den top gestylten hellblauen Rangerhüten auf den Köpfen niedlicher Pilgermädchen aus Italien?

Der Weltjugendtag 2005 dürfte vor allem als logistische Herkulesleistung in die Annalen eingehen. Die effizientesten Reispfannen seit der Speisung der 5.000, die größte Rucksackverteilaktion aller Zeiten, Nah- und Regionalverkehre am Rande des Nervenzusammenbruchs. Plakativer lässt sich die Mobilisierungsmacht des Heiligen Stuhls kaum darstellen. Und siehe, wir rocken die westliche Welt! Doch was ist wirklich passiert, außer buntem TV-Terror mit Fahnen schwenkenden, euphorietrunkenen Jubelkids?

Im Windschatten der „Papal Welcome Ceremony“, als Spaßreporter Harald Schmidt und hunderte weitere Medienmenschen neben dem päpstlichen Winkedampfer auf dem Rhein stromabwärts tuckerten, beginnt im RheinEnergy Stadion im westlich gelegenen Stadtteil Müngersdorf das internationale Festival „Bridging The World“. Ein großes WorldMusic-Treffen von DJ Dolores (Brasilien) bis zum Tuareg-Rock der achtköpfigen Crew Tinariwen aus Mali. Im innenstadtnahen Mediapark steht eine zweite Freiluftbühne, auf der die mexikanische Salsa-Ska-Crossover-Truppe Los de Abajo für dufte Stimmung sorgt. Der Sänger im roten „Che“-T-Shirt freut sich, Menschen unterschiedlichster Herkunft im Groove seiner Band vereinigen zu können. Karneval der Kulturen, mit freundlicher Unterstützung des Fährenbetreibers Scandlines („We are connecting people“). Veranstalter dieses Ergänzungsprogramms zum Papstbejubeln sind die katholischen Hilfsorganisationen Adveniat, Missio, Misereor, Deutscher Verein vom Heiligen Lande und andere. In einem Achtpunkteprogramm unterstützen diese auf der Großveranstaltung die „Millennium Goals“ der Vereinten Nationen. Dazu gehört der Kampf gegen HIV und Aids genauso wie die Gleichberechtigung der Geschlechter. Nicht die übelsten Forderungen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das offizielle Katholikentum mit der Umsetzung dieses Katalogs gewisse ideologische Schwierigkeiten hat.

Als „Viva“-Veteran Mola Adebesi die acht Ziele in seiner englischen Zwischenmoderation durch die eher spärlich gefüllten Stadionränge schickt, bilden enthemmte Jungchristen im Innenraum endlose Spaßpolonaisen. Genauso hohl und hirnlos wie das ewige La-Ola-Getue zu den Blechblasklängen des Boban Markovic Orkestar aus Serbien. Natürlich ist der spezielle Sound des fünfmaligen Award-Gewinners der „Goldenen Trompete“ nur bedingt Teenager-tauglich, doch irgendwie verdichtet sich der Eindruck, dass Jungkatholen genauso bescheuert sind wie ihre weniger kirchlich organisierten Altersgenossen. Von einem größeren Bewusstsein oder gar einer Kultiviertheit der Weltjugendtagsbesucher kann keine Rede sein. Zwar gehört Randale bei den Katholenkids nicht wie bei jugendlichen BMX-Radlern zum Standard-Entertainment. Auch kotzen sie nicht besoffen die Bürgersteige voll wie an einem x-beliebigen Reeperbahn- oder Ku’damm-Wochenende. Doch ansonsten muss sich niemand vor der klerikalen Popattacke fürchten. Sie versendet sich so schnell wie eine Deutschlandtournee der No Angels.

Das musikalische Angebot beim Weltjugendtag 2005 ist schier unübersehbar. Es wird ohne Ende geklampft, geklatscht und geringeltanzt bei den paar hundert offiziellen und inoffiziellen Rahmenveranstaltungen. Doch im Gegensatz etwa zu Film- oder Musikfestivals gibt es keine Abstufung in Mainstream oder Underground, in Independent oder Hollywood. Herkömmliche Qualitätsmaßstäbe sind bei der katholischen Popwerdung nicht vorgesehen. Schließlich dient das muntere Treiben einem übergeordneten Zweck: „Praise The Lord“, „Berufung“, „geistige Umwandlung“ und ähnliche Hohlphrasen geistern durch die Texte. Immer wieder „Joy“, „Feeling“, „Spirit“ ohne Ende – Texter von zusammengecasteten RTL-Teeniebands stoßen beim WJT auf ein reichhaltiges Sloganangebot. Dabei gilt eine Faustregel: Je offizieller und näher bei irgendwelchen Würdenträger das WJT-Popprogramm abläuft, desto grauslicher ist es. Wie wohltuend Old School war der jubilierende Jugendchor bei der Eröffnungssause mit Bundespräsident Köhler und dem kölschen Hardlinerkardinal Meisner gegenüber dem Trompete spielenden Clown im Showblock, der mit einer Muzak-Version von Robbie Williams „Angels“ diverse Kirchenkutten zum Wippen brachte. Spätestens hier hätte es zu einer verschärften Inquisition kommen müssen.

Wäre ich strategischer Berater der Deutschen Bischofskonferenz, würde ich erstens die sofortige Ausgründung eines Plattenlabels anraten. Und parallel dazu sollten die Kardinäle einen Popbeauftragten anheuern, wie es die Politkollegen von CDU und SPD bereits mit unterschiedlichem Erfolg vorgemacht haben. Vielleicht wäre das ja ein Job für Ex-Viva-Boss Dieter Gorny, der in seiner Rolle als neuer deutscher Außenwerbungsguru beim US-Medienkonzern Viacom zuletzt etwas unglücklich und unterfordert wirkte. Will man nämlich den aktuellen spirituellen Hype in ähnlich stabile Strukturen überführen wie in den USA, wo unter dem Rubrum „Christian“ (Rock, Metal, HipHop) längst ein stabiler Anteil im Popmarkt gehalten wird, dann muss man sich auf die bekannten Talentaufbau- und Vermarktungs-Mechanismen einlassen. Selbst eher weltliche Geschäftemacher-Firmen wie das von Ex-Bertelsmann-Vorstandschef Middelhoff für viel Geld eingekaufte Label Zomba Records unterhält seit Jahren eine Abteilung für christliches Liedgut aller Genres. Denn – so mühsam es auch sein mag – im frömmelnden WJT-Wirrwarr lassen sich durchaus interessante Entdeckungen machen. Etwa die bereits zu Semiprominenz gekommenen Hamburger Jesus Skins („Unser Kreuz braucht keine Haken“), die ihr ausverkauftes Konzert allerdings außerhalb des regulären Programms im Tsunami-Club in der Kölner Südstadt gaben.

Ganz offensichtlich bevorzugt das klerikale Eventmanagement beim musikalischen Aufschlag bislang Mildes, Moderates und harmlos Multikulturelles. An „Ecken und Kanten“, gemeinhin die Bausteine für ein popkulturelles Profil, scheint von denen da oben niemand so richtig interessiert zu sein. Die Gefahr, eine unkontrollierbare Nebenbaustelle zu eröffnen, auf der dann selbstbewusst die strengen Sitten der katholischen Lehre unterlaufen werden, ist (noch) zu groß. Doch das Fass ist bereits weit aufgemacht. Sollen sich die (medialen) Effekte des WJT 2005 nicht spätestens im Tohuwabohu rings um die Bundestagswahl im Nichts aufgelöst haben, sind nun konkrete Schritte gefragt. Noch haben die Skateboarder und Schäferhund-Punks in ihrem angestammten Revier auf dem Roncalliplatz am Dom mit einer Mischung aus cooler Arroganz, Mitleid und Verachtung auf den anschwellenden Pilgerstrom reagiert. Wie Aliens sind die Gläubigen nie unter einer Dutzendschaft in den hintersten Ecken zwischen Düsseldorf, Köln und Bonn aufgetaucht. Zu einer Vermischung mit dem gemeinen Alltagsvolk, das wohlwollend die landsmannschaftlichen Sprechchöre der großen Delegationen aus Spanien, Frankreich und Polen ertragen hat, ist es höchstens en passant gekommen. Kontemporäre Invasion vom Planeten Vatikan.

Entlang der Papstroute zwischen Rheinanleger und dem Erzbischöflichen Haus kauern die PilgerInnen wie angetriebene Seerobben an den Absperrgittern. Vier Stunden Warten für 13 Sekunden Blick auf Papst hinter Panzerglas. Wiederum etwas abseits am Brüsseler Platz, im Herzen der Plattenladen-Musikkneipen-Hip-Boutiquen-Multimedia-Agenturen-Coolness, befindet sich die Kirchengemeinde Sankt Michael, die neben ein paar dutzend lebenslustiger Christen aus Frankreich auch eine kleine Showbühne und einen zentralen Verpflegungspunkt beherbergt. Kurzum: Hier ist auch außerhalb der fernsehgerechten Agenda immer etwas los. Während die üblichen Medienarbeiter im benachbarten Café routiniert gelangweilt ihre Mittagspause verbringen, spielt eine glatzköpfige Zauselbartband technisch ausgefeilten Alternative-Rock. Beim näheren Hinsehen entpuppen sich die stämmigen Typen als Franziskaner aus New York City. The Bronx Brothers nennt sich die Crew, die in ihren schmucklosen grauen Kutten wirken wie eine Mischung aus Polyphonic Spree und ZZ Top.

Brother Louis, der Saxophonist im Hintergrund, habe sogar schon für Bruce Springsteen gearbeitet, berichtet ein Konfessionsgenosse, der im improvisierten Backstage-Bereich fleißig Autogramme auf CDs und Poster schreibt. Vorne an der Bühnenkante geben zwei Groove-Schwestern dem Indie-Gospel stimmliches Format. Durch das lässig herumstehende Publikum kurvt ein Mädchen zum Portal der Sankt-Michael-Kirche. Auf ihrem dunkelblauen T-Shirt steht in 1-A-Indierock-Typografie „I Love My German Shephard“. Ist das jetzt Ironie oder ernst? „German Shephard“ klingt wie „deutscher Panzer“. Doch offenbar handelt sich um eine ganz normale Huldigungszeile im hippen Format.

Solche Momente jedoch, wo man wahlweise „Is ja eigentlich ganz nett“ oder regional gefärbt „Jeder Jeck is’ halt anders“ denkt, bleiben die absolute Ausnahme. Anlässlich des „Musik-Picknicks“ am Aachener Weiher gab der 18-jährige Juaquin Mandoca aus Buenos Aires dem Kölner Stadtanzeiger zu Diktat: „Mir fehlt hier das Bier und der überspringende Funke.“ So zufällig heraus gepickt diese Momentaufnahme sein mag, vermittelt sie doch das hysterisch jubelnde Nichts, das von den meisten Begegnungen und Events übrig bleibt. Keine wirkliche Ekstase, kein Rausch und Originalität nur in Spurenelementen. Selbst die verschärften „Legionäre Christi“, die in einem eigens angemieteten Café in der Altstadt gegen vorehelichen Sex agitieren und auf Litfaßsäulen eine Plakatserie für vocation (Berufung) und Enthaltsamkeit geklebt haben, gehen im lauwarmen WJT-Sturm unter.

Die Protagonisten der Berliner Love Parade haben angesichts der steil wachsenden Teilnehmerzahlen Mitte der Neunziger das Ende aller Kriege durch Techno und Friede, Freude, Eierkuchen prophezeit. Fünf, sechs Jahre später hatte sich die Party aus wirtschaftlichen und inhaltlichen Erwägungen erledigt. Dem heutigen Konzept des Weltjugendtages droht ein ähnliches Schicksal, wenn sich die Verantwortlichen nach dem Motto „Na, wie haben wir das wieder hinbekommen!?“ weiterhin lediglich an den exorbitanten Mobilisierungszuständen berauschen. Die katholische Kirche ist – wie seit fast 2.000 Jahren erwiesen – eine etwas stabilere Angelegenheit als die Berliner Technogemeinde. Doch im Rausch der Popkultur ist schon manche Schnapsidee in einer außer Kontrolle geratenen Dynamik untergegangen. Vom Love and Peace à la Woodstock zu den Hells Angels von Altamont hat es schließlich auch nur ein paar Singlehits weiter gedauert.