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Vermissen vorbei

Falsche Ellipse in poetischer Traueranzeige

Ellipsenfoto: ap

Wir haben es in letzter Zeit mit den Todesanzeigen und bauen aus missglückten Annoncen gern „Gurken“ oder Ähnliches für die Wahrheit. Prompt haben wir am Wochenende im Tagesspiegel eine weitere sprachlich sehr bedenkliche Traueranzeige entdeckt. Sie wird von einem poetisch hingehauchten Motto eingeleitet: „Dich verlieren war sehr schwer, dich vermissen noch viel mehr.“

Bei aller lieben Poesie – das ist so hundsgemein falsch, dass der Deutschlehrer in uns die versammelte Schülerschaft … Pardon, Leserschaft auffordert, sich angesichts der wichtigen Belehrung, die nun folgt, bitte zu erheben. Es handelt sich wieder einmal um das schon länger grassierende Phänomen der „falschen Ellipse“. Beliebt ist dieses stilistische Mittel sonst vor allem bei Journalisten.

Um Platz und Zeit zu sparen, wird das Verb des ersten Satzteils im zweiten Teil eingespart, das gesagte oder geschriebene Verb gilt für den Nebensatz mit. Das Problem ist nur, dass die Bezüge des Verbs dann oft nicht stimmen. In unserem Beispiel sollte das Tempus verändert werden. Vervollständigt man nämlich in dem Sinnspruch das ausgelassene Verb „war“ aus dem ersten Satzteil im zweiten, dann müsste es eigentlich heißen: „Dich verlieren war sehr schwer, dich vermissen war noch viel mehr.“

Das rumpelt nicht nur enorm, sinngemäß ist das Vermissen dann schon vorbei, weil es war. Was unfreiwillig komisch ist, weil man ja gerade seine tiefe innere Bewegtheit poetisch besonders betonen will. Richtig muss es also heißen: „Dich verlieren war sehr schwer, dich vermissen ist es noch viel mehr.“ Weil der Vorgang ja hoffentlich andauert.

Solche falschen Sinnsprüche schwatzen Bestatter gern mithilfe von Musteranzeigen Angehörigen auf, die in ihrer Trauer selbstverständlich keinen Sinn haben dafür, dass hier ein stilistischer Unfall passiert, der später von satirischen Besserwissern aufgegriffen wird und für alle Ewigkeit mit der Todesanzeige des bedauernswerten Verstorbenen in Zusammenhang gebracht wird. Den vermeintlich poetischen Spruch sollten Bestatter deshalb schleunigst wegwerfen, damit er künftig nicht mehr erscheint. Und alle anderen Wahrheit-Leser dürfen sich jetzt, etwas schlauer geworden, wieder setzen.

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