: Forensik zu verkaufen
Darf der Staat die Betreuung von Straftätern auslagern? Die Privatisierung der Landeskrankenhäuser ist in Niedersachsen höchst umstritten, in Schleswig-Holstein beschäftigt sie bereits die Gerichte
Von Esther Geißlinger
In den Großbuchstabenzeitungen erhalten sie die dicksten Überschriften: Kranke Menschen, die sich an Kindern vergehen, die in Serie töten oder im Wahn Häuser anzünden. Die Gerichte schicken geistig gestörte Straftäter in die forensischen Abteilungen der Psychiatrien. In Landeseinrichtungen also – wohin auch sonst? Aber Logik war gestern, leere Kassen sind heute: Mehrere Bundesländer wollen ihre Landeskrankenhäuser privatisieren, darunter Niedersachsens Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU), die europaweit einen Käufer für diese Einrichtungen sucht. Am liebsten sollen die zehn Krankenhäuser mit 6.364 Mitarbeitern und über 4.000 Betten, davon 1137 belegt mit psychisch kranken Straftätern, im Paket weggehen. Bis zu 125 Millionen Euro Erlös und eine Entlastung des Haushalts verspricht sich das Land.
Während von der Leyen gerade anfängt, ist Schleswig-Holstein einen Schritt weiter: Ralf Stegner (SPD), damals Finanzminister der rot-grünen Regierung, freute sich im November 2004 über rund 49 Millionen Euro, die die Landeskasse für den Verkauf der Fachklinik Schleswig an die Bietergemeinschaft aus Damp-Holding und Martin-Luther-Krankenhaus und der „Psychiatrium Gruppe“ an die Ameos Psychiatrie-Holding erhielt. Die Umwandlung sorge für Investitionen und erhalte Arbeitsplätze, jubelte der zuständige Staatssekretär, selbst die Opposition –damals noch CDU und FDP – hielt sich mit Protesten zurück. Das sieht heute in Niedersachsen anders aus: SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner kritisiert die Verkaufspläne: Sie „rechnen sich nicht, gehen zu Lasten der Patienten und missachten die hoheitlichen Aufgaben im Maßregelvollzug“. Das ist der Punkt, mit dem sich jetzt die Juristen beschäftigen: Darf der Staat Straftäter von privaten Firmen betreuen lassen? Nein, meint der Göttinger Strafrechtler Jörg-Martin Jehle: Schließlich sei der Maßregelvollzug „das höchste Maß an Gewalt, dass der Staat einem Menschen antun kann“ – im Extremfall könne ein Patient lebenslang weggeschlossen werden. Lagere der Staat diesen sensiblen Bereich aus, „dann könnte man alles privatisieren“, so Jehle.
Mit der Meinung steht er nicht allein da: Bereits zwei Gerichtsinstanzen verweigerten die Privatisierung der Schleswiger Klinik. Im September entscheidet das Oberverwaltungsgericht. Zum Verfahren will Klinik-Sprecherin Inke Asmussen nichts sagen. Denkbar sei aber, dass die Forensik ausgekoppelt wird und beim Land bleibt. Bisher sollte das Sozialministerium zwar die Trägerschaft abgeben, aber die Fachaufsicht behalten. Die „Psychiatrium“-Gruppe dagegen erhielt den Eintrag als gemeinnützige GmbH im Handelsregister – ein formeller Akt, bei dem das zuständige Gericht auf die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht einging. Sind die erst geklärt, rückt die zweite Frage nach vorne: Sparen die Länder mit dem Verkauf Geld? Nein, meint SPD: Es sei für Private wirtschaftlich günstig, Patienten möglichst lange zu verwahren – die Therapie auch in einfachen Fällen werde dadurch sogar gefährdet.