Stefan Goldmann steuert mit schrägen Tönen auf die Tanzfläche, Channel X gehen die Sache konventioneller an

Also, irgendwas macht Stefan Goldmann mit den Tönen. Irgendwas Kompliziertes. Irgendwas, in dem Wörter wie „Parameter“, „Tonhöheninformation“ oder „Mikrotonalität“ vorkommen. Für sein neues Album „17:50“ hat der Berliner Produzent seinen Sampler so seltsam eingestellt wie niemand vor ihm in der Geschichte der Clubmusik. Das kann man zwar nicht unbedingt unfallfrei erklären, aber überraschenderweise recht deutlich hören.

Absolut keine Überraschung ist es, dass ausgerechnet Goldmann eine solche Innovation gelingt. Der 34-jährige DJ legt nicht nur regelmäßig in der Panaroma Bar des Berghain auf, sondern verfasst auch für das Magazin des Clubs eine Kolumne. Der zwischen Berlin und Sofia aufgewachsene Sohn eines Komponisten und einer Musikkritikerin gilt als einer der schlauesten Köpfe des Techno, obwohl er lange kein so geschickter Selbstvermarkter ist wie zum Beispiel sein Kollege Matthew Herbert.

Nein, Goldmann muss weder Gemüse noch Grunzgeräusche samplen, um spannende Ergebnisse zu erhalten. „17:50“ funktioniert erst einmal wie eine ganz normale Techno-Platte, aber klingt doch vollkommen anders. Der Beat der meisten Tracks ist durchgehend gerade, die Klänge sind aus Bits und Bytes zusammengesetzt, Goldmann baut Spannung auf und entlädt sie wieder: Ein gut gefüllter Dancefloor sollte garantiert sein. Doch so praktisch einsetzbar „17:50“ auch ist, irgendwas stimmt nicht: Das Klangbild erinnert mal an einen Kindergeburtstag, mal an eine Hochzeit auf dem Balkan und dann wieder bloß an einen Computer mit kaputtem Betriebssystem. Man könnte nun die bulgarischen Wurzeln des Produzenten verantwortlich machen, aber es ist vor allem wohl der Trick mit dem Sampler. Der hat dazu geführt, dass die einzelnen Klänge zwar immer noch nicht verleugnen können, dass sie aus der Maschine stammen, aber sich so anhören, als wären sie lieber etwas anderes, etwas Exotisches wie eine Duduk oder eine Saz. Auf jeden Fall klingt „17:30“ doch tatsächlich organischer als manche Matthew-Herbert-Platte, für die kein Schwein sterben musste.

Wie es auch geht, nämlich konventioneller, beweisen Channel X. Sie sind ebenfalls, obwohl „Wonderland“ erst ihr zweites Album ist, etablierte Konstanten im Berliner Clubbetrieb. Bei ihnen hat ein Track vor allem zu pumpen, bevor ein wohl dosiertes Break einen Akzent setzt – und dann wieder derselbe Beat folgt. Darüber zischeln ein paar Samples, denen man stets anhört, dass sie keine große Sehnsucht haben, mehr zu erkunden als den nächsten Tanzboden.

Dort angekommen, lösen Channel X aber garantiert eine zünftige Party aus. Mal sind dazu eben ein HipHop-Beat und ein Jazz-Vibe nötig, mal die Stimmung aus der Italo-Disco, mal die stählerne Atmosphäre eines Lofts in einem Detroiter Abrisshaus oder ein flotter Popsong mit souliger Frauenstimme. Entscheidend ist: Channel X haben all das drauf und noch viel mehr. Das DJ-Duo dekliniert souverän das zur Verfügung stehende Arsenal durch – ohne irgendwas anders zu machen mit den Tönen.

THOMAS WINKLER

■ Stefan Goldmann: „17:50“ (Macro/WordandSound), live: 21. 9., Panorama Bar ■ Channel X: „Wonderland“ (Stil vor Talent/Rough Trade), live: 21. 9., Watergate