: Comeback für die Zitrone des Ostens
Nach der Wende wollten niemand mehr etwas von der DDR- Vitaminbombe wissen: Jetzt ist Zitrus wieder out und der Sanddorn die neue Modefrucht. Ein Besuch auf der ersten und größten Sanddornplantage Deutschlands. Hier beginnt gerade die Ernte, der Plantagenchef hat schon zerkratzte Finger
aus Ludwigslust Anke Schwarzer
Mit seinem Fiat-Kombi schaukelt Frank Spaethe über von schweren Traktorenrädern und Wildschweinen geformte Wege. Das Gras steht hoch, auf einer Streuobstwiese erreichen die Wildblumen bereits die Äste der Apfel und Birnbäume. Hinter alten, kräftigen Bäumen ziehen sich lange Reihen von Sanddorngehölzen. Die zwei bis vier Meter hohen dornenbewehrten Büsche sehen mit ihren widerspenstigen Ästen aus wie Vogelscheuchen, die ihre zahllosen Arme in die Höhe strecken.
Frank Spaethes Finger durchziehen feine, schwarze Linien, der Sanddorn hat sich dort mit Kratzern verewigt, in manchen hat sich Erde festgesetzt. Zwischen Daumen- und Zeigefinger klemmt eine kleine, gelb-orangene Beere. „Die Beeren sind reif, sie haben keine hellen Stellen mehr“, stellt der Agraringenieur zufrieden fest. Erntebeginn auf der „ersten und größten Sanddornplantage Deutschlands“ – so die Eigenwerbung der Sanddorn Storchennest GmbH in Ludwigslust, 40 Kilometer südlich der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt Schwerin.
Seit 1980 wird die ehemalige Vitaminbombe des Ostens hier angebaut. Die Lage ist kein Zufall. Anders als im Westen wurde Sanddorn in der DDR in größerem Stil kultiviert, wohl um damit auch ohne Zitrusfrüchte eine gute Vitaminversorgung zu gewährleisten. Schließlich standen kaum billige Cash-Crops wie Bananen und Orangen aus Mittelamerika zur Verfügung wie im Westen. Auch die Sorte Frugana, die der aus dem Westen stammende Storchennest-Geschäftsführer Spaethe jetzt für reif erklärt hat, wurde bereits in den Siebziger Jahren in der DDR gezüchtet, ebenso wie die „Auslese Rügen“, „Hergo“, „Leikora“, „Ascola“ und „Ddorana“. Aus ihnen entstehen damals wie heute Säfte, Liköre und Konfitüren.
„Die Nachfrage ist sehr groß“, sagt Spaethe. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Eigenschaften des sauren Früchtchens, ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein und der Tourismus an der Ostsee habe der Branche einen Boom beschert. Mittlerweile beliefert er nicht mehr nur die Läden in der Region: 30 Tonnen Saft hat ein Auftraggeber aus Japan geordert. „Made in Germany“ zählt dort viel, glaubt er.
Dem Betrieb ging es nicht immer so gut. Spuren auf dem Gelände zeugen davon. Zahllose verwitterte Holzkisten mit Metallbeschlägen stehen auf dem weitläufigen Hof der früheren Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft (GPG) herum, sowie ein verrosteter Tank und landwirtschaftliche Maschinen, die ihre beste Zeit längst hinter sich haben. Aus den Spalten zwischen den großflächigen Betonbodenplatten wachsen lilaköpfige Disteln, ein deformierter Aktenschrank steht neben leeren Getränkekisten.
Die Vernachlässigung hatte einen Grund: Während der Wendejahre, als plötzlich auch andere Früchte Einzug in die Supermarkt-Regale hielten, wollte niemand mehr etwas von der Ost-Zitrone wissen. „Es gab überhaupt keine Nachfrage, da waren erst einmal die Zitrusfrüchte interessant“, sagt Spaethe, der seit fünf Jahren die Geschäfte in Ludwigsburg führt. Die Folgen: Während um 1989 Sanddorn in der DDR auf einer Fläche von rund 200 Hektar – vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg – angebaut wurde, schrumpften die Flächen in den folgenden Jahren etwa auf die Hälfte zusammen.
Jetzt geht es langsam wieder bergauf, auch EU-Gelder fließen in die Firma, die 1990 aus der GPG Storchennest hervorging und die seit 1993 nach ökologischen Kriterien anbaut. Für Aufräumarbeiten bleibt dennoch keine Zeit, dafür ist der Anbau zu arbeitsintensiv. So werden die Beeren per Hand gepflückt, eine Schicht dauert acht Stunden, fünf Euro gibt es pro Stunde.
Kein Zuckerschlecken für die Erntehelfer, zwölf Frauen und Männer aus der Kreisstadt und Umland, die seit der Frühe die dornigen Sanddornzweige schneiden. Die mit einer Elektro-Schere vorgeschnittenen, fingerdicken Äste werden einzeln vom Boden aufgehoben, zu zwanzig bis dreißig Zentimeter langen Zweigen abgeknipst, in eine Wanne gelegt und dann abtransportiert. „Diesmal geht es, aber im letzten Jahr hatte ich nach dem zweiten Tag schon Blasen an der Hand“, erzählt eine Frau, deren Haare dauergewellt und dunkelkirschfarben gefärbt sind. Ihre Füße stecken in schwarzen Gummistiefeln, die Hände in dicken Handschuhen. Ein Radio läuft. Ihr Kollege tritt die hüfthohen Brennnesseln zur Seite, um näher an einen mit Beeren dick behangenen Ast zu gelangen. Auch Hopfen umschlingt den über 20 Jahre alten Sanddorn.
Hier gilt wieder: „Wir müssen es so sparsam wie möglich machen“, sagt Spaethe. Man konzentriere sich auf die Jungpflanzen, denn der Betrieb soll in den nächsten Jahren von 80 auf 120 Hektar ausgeweitet werden. Fünf Jahre dauert es, bis sie tragen. Diese lange Vorlaufzeit, die Handarbeit und die schwierigen Erntebedingungen machen Sanddorn zu einem teuren Rohstoff.
Vom Pflücken bis zum Saft ist es noch ein weiter Weg. Die Fruchtäste werden nach Schwerin transportiert, dort ein, zwei Tage Schock gefrostet. Kommen die Zweige dann in die Rüttelmaschine, fallen die Beeren ab, ohne dass der Saft austritt. Deshalb hofft Spaethe auch, dass es nicht regnet: „Sonst gefriert das alles zu einem großen Klumpen.“ Rund vier Wochen lang werden die Saisonkräfte die erste Ernte einbringen. Dann folgen die späteren Sorten. Etwa 70 bis 80 Tonnen werde die diesjährige Ernte wohl bringen, schätzt Spaethe, das sei gut die Hälfe der gesamten Sanddornproduktion in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Er könne noch mehr runterholen, aber nur ein Drittel der Sträucher komme unter die Schere, denn Sanddorn braucht zum Neuaustrieb mindestens zwei Jahre.
Inzwischen hat ein nagelneuer Traktor die erste Fuhre vom Feld gebracht. Die großen Wannen stehen auf dem Hof. Spaethe und ein Kollege begutachten den Schnitt, sammeln die Zweige auf, die beim Verladen herunter gefallen sind, und legen sie in die Kisten, aus denen die Sanddornbeeren wie winzige Goldstückchen funkeln.