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Archiv-Artikel

Wegen Link kann dicke Strafe drohen

Kritik am Distributionsprozess bleibt reine Theorie. Wer im Internet einen Link auf diese Theorie setzt, wird bestraft

Vor einstweiligen Verfügungen ist auch die Wissenschaft nicht sicher. Diese Erfahrung machte kürzlich die Künstlergruppe „Kollektiv der neuen Methodiker“. Sie veranstaltet unter anderem virtuelle Seminare, an denen Studenten per Internet teilnehmen. Im Rahmen eines solchen Seminars setzte die Gruppe einen Link auf ihrer Website zum Text von Guy Debords Buch „Die Gesellschaft als Spektakel“. Daraufhin wurde der Berliner Verlag Tiamat, der die Rechte am deutschen Text hat, aktiv.

Eine erste Abmahnung von Klaus Bittermann, dem Chef des Einmannverlags, wies das Kollektiv ab. Schließlich handele es sich um ein Seminar, das im Sommersemester dieses Jahres in Zusammenarbeit mit drei Berliner Universitäten durchgeführt worden war. In derartigen Veranstaltungen nichtvirtueller Ausprägung erhalten Studenten auch Kopien von akademischen Texten. Außerdem war nur der Link, nicht aber der Text auf seiner Seite. Man wähnte sich sicher und war auch provokant.

Der nach eigenen Aussagen kooperationsbereite Verleger Bittermann hatte jedoch mehr Entgegenkommen erwartet. Das nächste Schreiben bekamen die Methodiker direkt vom Landgericht Nürnberg: eine einstweilige Verfügung. Sie untersagte, den genannten Link „zu unterhalten und/oder zu setzen“. Zuwiderhandlungen könnten mit Geldbußen von bis zu 250.000 Euro geahndet werden.

Die auf Urheberrecht spezialisierte Rechtsanwältin Julia Bezzermann sagt, die Rechtslage sei eindeutig. Für Links, die direkt auf einen verbotenen oder, wie hier, geschützten Inhalt führen, haftet auch der Betreiber, auf dessen Seite er steht. Selbst Sätze, die jede Verantwortung für den Inhalt der Links von sich weisen, nützten nichts. Die hohe angedrohte Geldstrafe sei eine Formalie. Sie würde in derartigen Fällen nie ausgeschöpft. Auch das Argument der akademischen Nutzung gelte nicht.

So weit also Justitia. Doch was würde Guy Debord, an dessen Text sich der Streit entfachte, zu dem Vorfall sagen? In der „Gesellschaft als Spektakel“ kritisiert der 1994 verstorbene Autor vehement die Verwertungsmechanismen des Kapitalismus, in denen die Ware die „Herrschaft über die Wirtschaft“ gewonnen hat und so das Leben in Passivität und Kreativlosigkeit verstreichen lässt. Dem Text nach zu urteilen, wäre dessen unkontrollierte Wiederverwertung also ausdrücklich erwünscht. Doch Debords Zeilen sind längst selbst zur Ware geworden.

Seine schöpferischen Maximen hingegen bilden die Grundlage für die Arbeit des „Kollektivs neuer Methodiker“. Als Situationist war Debord Vertreter des prinzipiell Unabgeschlossenen, Verfechter des Situativen und Aktivist gegen Etabliertes. Auch auf der Website des Internetkolloquiums wird das Prozesshafte propagiert, soll „jeder Distributionsprozess immer auch ein Produktionsprozess“ sein. Solche Leitlinien lassen sich offenbar schwer mit deutschem Recht in Einklang bringen. Auch nicht im Auftrag der Wissenschaft. Der Link ist inzwischen entfernt. Aber auf den Anwaltskosten bleiben die Methodiker sitzen.

Veronika de Haas