: Sparen an Kranken
Industrie: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall soll eingeschränkt werden. Zwei Karenztage gefordert
BERLIN taz/dpa ■ Das Thema ist nicht neu, sorgte aber auch gestern wieder für Aufregung: Die Wirtschaft hat einen neuen Vorstoß für weniger Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gestartet. Bundesregierung und Gewerkschaften reagierten erwartungsgemäß mit Ablehnung – aber auch die Union schloss sich dem Plan der Wirtschaft nicht an.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, forderte in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt, dass kranke Arbeitnehmer in den ersten beiden Krankheitstagen auf ihren Lohn verzichten sollten. Mit diesen zwei Karenztagen würden Unternehmen deutlich entlastet. Zugleich würde die „Eigenverantwortung“ der Arbeitnehmer gestärkt. Die Lohnfortzahlung koste die Unternehmen pro Jahr fast 30 Milliarden Euro.
Zuvor hatte schon Handwerkspräsident Otto Kentzler vorgeschlagen, die 100-prozentige Lohnfortzahlung zu senken und Krankheitstage mit dem Urlaub zu verrechnen.
Das Bundesgesundheitsministerium wies die Forderung zurück. Der Krankenstand sei so niedrig wie nie, sagte ein Sprecher. Zudem sei die Wirtschaft seit dem 1. Juli mit den Krankenkassenbeiträgen um 4,5 Milliarden Euro entlastet worden. Weitere Eingriffe in die Arbeitnehmerrechte würden abgelehnt. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, bezeichnete Braun als „Scharfmacher“.
Bereits 1996 hatte die Union-FDP-Koalition die 100-prozentige Lohnfortzahlung auf 80 Prozent gekürzt, was zu breiten Protestaktionen führte. Die Arbeitgeber zeigten sich gesprächsbereit: Die Kürzung wurde vielerorts durch Tarifverträge wieder aufgehoben. Die rot-grüne Bundesregierung machte die Regelung schließlich rückgängig.
Der Krankenstand in den Betrieben ist ohnehin auf einen historischen Tiefstand gesunken: Im Schnitt fehlen die Beschäftigten wegen Krankheit nur noch 3,37 Prozent der Sollarbeitszeit. Dadurch sind nach früheren Schätzungen allein im Jahre 2004 die Kosten der Lohnfortzahlung um 1 Milliarde Euro gesunken. Bereits im Jahre 2003 hatte der verminderte Krankenstand Entlastungen von etwa 1,5 Milliarden Euro gebracht. Im ersten Halbjahr 2005 war der Krankenstand wieder leicht auf 3,57 Prozent gestiegen. Das Ministerium hatte dies auf die Erkältungswelle im Winter zurückgeführt. Für den Krankenstand sind nicht nur die Kurzzeiterkrankungen, sondern auch die Zusammensetzung der Belegschaften mit verantwortlich: Haben sich die Betriebe der krankheitsanfälligeren und älteren Mitarbeiter entledigt, vermindert sich der durchschnittliche Krankenstand. BD
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