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Archiv-Artikel

Neoliberalismus: Ja, bitte – Nein, danke

Über Vollkasko-Staat und Golfclubs, Erbschaftssteuer, Bürgergeld und linke Schills: Die Hamburger Spitzenkandidaten von FDP und Linkspartei.PDS, Burkhardt Müller-Sönksen und Norman Paech, im taz-Streitgespräch zur Bundestagswahl

„Unser Steuerkonzept ist einfach, gerecht, sozial und mit familienfreundlicher Ausgestaltung“: Burkhardt Müller-Sönksen„Wir schließen eine Regierungsbeteiligung nicht für immer und ewig aus, nur für den jetzigen Zeitpunkt“: Norman Paech

Moderation:Sven-Michael Veit

taz: Was ist für Sie, Herr Müller-Sönksen, Neoliberalismus?

Burkhardt Müller-Sönksen: Arbeitsplätze zu schaffen statt Geld in Beschäftigungsprogrammen im zweiten Arbeitsmarkt zu verbrennen.

Und für Sie, Herr Paech?

Norman Paech: Ein gigantisches Projekt zur Privatisierung von gesellschaftlichen Risiken einerseits und zweitens zur Privatisierung öffentlicher Bereiche, die Profit versprechen. Damit einher geht die Deregulierung, also die Schwächung des Staates.

Müller-Sönksen: Das ist der springende Punkt. Wir müssen weg vom Vollkasko-Staat, weg vom Versuch, die private, soziale Verantwortung zu sozialisieren. Damit ist die Linke gescheitert.

Paech: Ihre Mitglieder und Ihre Klientel, Herr Müller-Sönksen, stehen auf der Sonnenseite, und deshalb machen Sie eine Politik der sozialen Spaltung in Parallelgesellschaften. Dazu gehört eine Steuerpolitik, die ihrer Klientel die Taschen füllt. Die Linkspartei hingegen vertritt die kleinen Leute, denn ein großer Teil der Bevölkerung ist mittlerweile in einer beklagenswerten Situation. In meiner Geburtsstadt Bremerhaven zum Beispiel leben nach einer neuen Untersuchung über 38 Prozent der Kinder in Armut ...

Müller-Sönksen: Einspruch. Unser Steuerkonzept ist einfach und gerecht. Eine Familie mit zwei Kindern zum Beispiel hat danach einen Steuerfreibetrag von 30.800 Euro, das ist eine klare soziale und familienfreundliche Ausgestaltung für einen großen Teil der Bevölkerung, im Übrigen, anders als bei der CDU, ob mit Trauschein oder ohne.

Und zur Zielgruppe: Die FDP ist keine Partei für Millionäre, sondern für diejenigen, die Leistung erbringen können und wollen. Und selbstverständlich sehen wir den Sozialstaat vollständig in der Pflicht, aber nur hilfsweise für diejenigen, dies es wirklich nötig haben.

Paech: Das Problem ist doch, dass Sie dem Staat die Mittel nehmen, um Kinderbetreuung, Schwimmbäder und sonstige öffentliche Versorgungseinrichtungen anbieten zu können. Sie plündern mit ihrem Steuerkonzept den Staatshaushalt.

Und ihre Bemerkung über Leistungswillige ist nahezu infam gegenüber denen, die gerne Leistungen erbringen wollen, aber nicht können, weil man sie nicht mal arbeiten lässt, vor allem in Ostdeutschland. Aber Sie und Ihre Freunde im Golfclub ...

Müller-Sönksen: Klischees ...

Paech: Allein schon die enormen Vermögen, die ihre Klientel zu vererben hat ...

Müller-Sönksen: Die wollen Sie wohl gerne sozialisieren ...

Paech: Wir wollen die mit einer Erbschaftssteuer belegen, die ...

Müller-Sönksen: Das ist doch sozialisieren ...

Paech: Ihre Motoryacht können Sie ja behalten. In den USA machen Erbschafts- und Vermögenssteuer etwa 3,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, in Deutschland nur 0,9 Prozent. Eine Anhebung auf US-Niveau würde rund 40 Milliarden Euro jährlich in die öffentlichen Kassen fließen lassen. Dann hätten wir keine Debatten wie die über die Schließung des Bismarck-Bades in Altona oder die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser.

Herr Paech hat klare Vorstellungen von Mitgliedern und Wählern der FDP, Herr Müller-Sönksen. Welche haben Sie von denen der Linkspartei. Sind das alles Sozialneider?

Müller-Sönksen: Das glaube ich nicht. Das sind eher orientierungslose Menschen, die Linkspopulisten mit fremdenfeindlichem Anhauch wie Gysi und Lafontaine nachlaufen. Die beiden sind linke Schills ...

Mit Schill haben Sie ja Ihre eigenen Erfahrungen gemacht in der Hamburger Bürgerschaft während der CDU-Schill-FDP-Koalition.

Müller-Sönksen: Ja, und diese Erfahrungen muss Deutschland nicht noch mal machen. Aber die Linke ist in einem Punkt anders als Schill: Sie will ja nicht einmal Verantwortung übernehmen, sondern nur Protest sammeln.

Will die FDP immer und überall egal mit wem koalieren, Hauptsache, sie kann mitregieren? Und verweigert sich die Linkspartei jeder Regierungsverantwortung grundsätzlich, weil sie sich dann vielleicht die Finger schmutzig machen müsste?

Paech: Wir stehen wegen der vorgezogenen Neuwahl unter ungeheurem Druck, eine Linkspartei zu formieren. Das braucht noch eine gewisse Zeit, die offizielle Gründung hat ja noch gar nicht stattgefunden. Aber wir schließen eine Regierungsbeteiligung nicht für immer und ewig aus, nur für den jetzigen Zeitpunkt. Außerdem ist das eine Phantomdiskussion: Weder SPD und Grüne noch CDU und FDP wollen mit der Linkspartei koalieren, sondern sie ausgrenzen.

Müller-Sönksen: Ich halte das nicht für eine Phantomdiskussion. Wenn Schwarz-Gelb keine Mehrheit erringen sollte, kann ich mir vorstellen, dass Rot-Grün sich von der Linkspartei tolerieren ließe. Ich halte es für selbstverständlich, dass eine Partei, die sich zur Wahl stellt, auch regieren möchte. Das will die FDP, aber nicht um jeden Preis. Es geht um politische Inhalte, vor allem um Wachstum und Arbeit, und deshalb ist die Union für uns der nahe liegende Partner.

Wenn es nicht reicht, Herr Müller-Sönksen, käme dann eine Koalition mit SPD und Grünen für Sie in Frage, um Rot-Grün-Linkspartei zu verhindern? So ein Bündnis dürfte für Sie doch einer Volksfront nahe kommen?

Müller-Sönksen: Diese Bundestagswahl ist in der Tat eine Richtungswahl, und Schwarz-Gelb wird sie gewinnen. Falls nicht ...

Dann gibt es eine Große Koalition. Oder Sie machen Schwarz-Gelb-Grün.

Müller-Sönksen: Das halte ich beides für unwahrscheinlich. Ich vertraue darauf, dass die Wähler klug entscheiden und die FDP zusammen mit der Union die Bundesregierung stellen wird.

Sie kandidieren beide erstmals für den Bundestag. Welches sind ihre persönlichen politischen Ziele, die sie dort erreichen wollen?

Paech: Meine Schwerpunkte sind aus beruflichen Gründen sozusagen fachlich vorgegeben: Außenpolitik und internationale Beziehungen, Verfassungs- und Völkerrecht und natürlich die Menschenrechte. Und das heißt konkret klare Positionen gegen die Militarisierung der Außenpolitik und gegen den Einsatz der Bundeswehr im Ausland wie jetzt in Afghanistan. Das ist auch ein Weg zur Terrorprävention, denn wir sehen ja gerade im Irak, welchen – auch terroristischen – Widerstand fremde Truppen dort erzeugen.

Müller-Sönksen: Mein wichtigstes Ziel wird Vorfahrt für Arbeit sein. Dazu gehören eine Umstrukturierung der Bundesagentur für Arbeit, eine Reform des Arbeitsrechtes, die Vereinfachung des Steuersystems und die Fortentwicklung von Hartz IV zu einem Bürgergeld, zu dem Sozialhilfe, Bafög oder sonstige Transferleistungen zusammengefasst werden.

Paech: Es gibt wirklich keine Partei, die so gewerkschafts- und arbeitnehmerfeindlich ist wie die FDP. Was Sie vorhaben, ist die Aufhebung des Kündigungsschutzes und die Aufweichung des gesamten Arbeitsrechts. Da werden Sie auf unseren härtesten Widerstand stoßen.

Müller-Sönksen: Die deutschen Arbeitsschutzrechte sind gut gemeint, aber gut gemeint ist häufig das Gegenteil von gut. Sie hemmen vor allem den Mittelstand, der 85 Prozent der Arbeitsplätze schafft, Einstellungen vorzunehmen. Das müssen wir ändern.

Sollte Schwarz-Gelb die Bundestagswahl gewinnen: Würde das für die Hamburger Bürgerschaftswahl Anfang 2008 bedeuten, dass die CDU die absolute Mehrheit verliert, die FDP draußen bleibt und die Linkspartei mit einem zweistelligen Ergebnis ins Rathaus kommt?

Müller-Sönksen: Nein. Wir werden die Arbeitslosigkeit senken, es wird ein positives Wirtschaftsklima geben, das Sparen in Hamburg wird aufhören und die Menschen werden wieder Optimismus haben.

Paech: Ich glaube Ihnen sogar, Herr Müller-Sönksen, dass Sie glauben, was Sie da sagen. Aber der radikale Neoliberalismus, den Sie propagieren, wird zu einer noch größeren Verarmung in der Bevölkerung führen. Sie werden den Staat ausplündern und öffentliche Leistungen beschneiden. Das wird die Linkspartei stärken, und das wird die SPD nach links öffnen. Und dann wird die Frage einer linken Koalition in Hamburg positiv beantwortet werden.

Glauben Sie beide eigentlich, dass Sie im Bundestag als Vertreter Hamburgs kollegial miteinander umgehen können?

Müller-Sönksen: Ja.

Paech: Ja, sicher.