: CDU im Angie-Fieber
AUS DORTMUND LUKAS WALLRAFF
Nach den Rolling Stones müssen nun auch noch Queen für den Wahlkampf der Union herhalten. „We Are the Champions“ – eine Coverband der Altpoprocker sorgte gestern für Stimmung auf dem so genannten Parteitag der CDU in Dortmund. Queen für die Krönungsmesse der Kandidatin. Perfekt. Freddie Mercury kann sich ja nicht mehr wehren.
„Alle warten auf den Regierungswechsel in Deutschland“, war sich Angela Merkel zum Abschluss ihrer Rede gestern Abend sicher, und ein solcher Regierungswechsel sei vergleichbar mit der Weichenstellung der ersten Bundestagswahl 1949. Starke Worte. Einige unter den rund zehntausend Fans in der Westfalenhalle sangen: „Jetzt geht's looos.“ Neue Argumente, warum es zum Regierungswechsel kommen sollte, waren in den gut drei Stunden Parteitag freilich nicht zu hören. Wieder einmal versprach die Kandidatin eine Regierung, „die hält, was sie verspricht“, „Politik aus einem Guss“ und eine Union, die „es grundlegend anders machen“ werde, zur „Erneuerung unseres Vaterlands“. Gewöhnungsbedürftig ist, dass CDU-Parteitagen inzwischen aussehen wie Fußballstadien bei Länderspielen der holländischen Nationalmannschaft: tausende T-Shirts, tausende „Angie“-Pappschilder, alles in der neuen Parteifarbe Orange.
„Noch 21 Tage“, heizte Generalsekretär Volker Kauder das Parteivolk zur Begrüßung an, „dann ist Schluss mit Rot-Grün.“ Und wo könnte die Union das schöner feiern als in der Dortmunder Westfalenhalle? 10.000 CDU-Fans in der traditionellen SPD-Hochburg – neben den 1.000 Delegierten: das erfüllte NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers mit besonderer Schadenfreude. Eine Debatte über Sachfragen oder gar ungeplante Redebeiträge waren vorsichtshalber nicht vorgesehen.
Alle zehn Ministerpräsidenten der Union marschierten, einer nach dem anderen, auf die Bühne, um Merkel ihre Unterstützung zu versichern. Für die Kanzlerkandidatin dürfte das Schönste daran gewesen sein, dass CSU-Chef Edmund Stoiber so nur noch als einer von vielen wirkte. Brav überbrachte er „die herzlichsten Grüße Ihrer bayerischen Schwesterpartei“ und versprach, man werde in den letzten drei Wochen bis zur Wahl „geschlossen miteinander“ kämpfen. Zum Dank gab es auch für Stoiber freundlichen Applaus – trotz seiner Merkel gegenüber rücksichtslosen Ossi-Beschimpfungen vor ein paar Wochen.
Der erste Preis in diesem Scheinheiligkeitswettbewerb geht jedoch an Christian Wulff. Direkt vor der Parteitagsparty hatte der niedersächsische Regierungschef noch öffentlich wissen lassen, das Steuerkonzept von Merkels Kompetenzmann Paul Kirchhof widerspreche dem „deutschen Gerechtigkeitsgefühl“. Nun lobte Wulff denselben Kirchhof und die Parteichefin als Menschen, die „weiter denken“ und „diesem Land Hoffnung geben“. Die Kanzlerkandidatin, so Wulff, werde „ein Regierungschef, auf den man sich verlassen kann“. Verlassen kann sich Merkel auch auf Roland Koch. Sagt er: „Wir kämpfen für Angela Merkel!“ Und wie! Es ist ja erst ein paar Tage her, da wollte Koch „bewiesen haben“, dass Kirchhofs Steuerpläne wirklich sozial gerecht seien. Auch Günter Oettinger aus Baden-Württemberg, ein weiteres Mitglied der Männerriege in der Union, die sich schon vor Jahren im Andenpakt verbündet hat, hatte eben noch an Merkels „Visionär“ herumgekrittelt; jetzt versprach er seiner Chefin „breiten Rückhalt und starke Unterstützung“.
Die Kandidatin nahm’s gelassen und freute sich umso mehr, dass ihr umstrittener Steuermann den kräftigsten Applaus aller Kompetenzleute bekam. „Gerade an der Diskussion über Ihre Berufung“, rief sie Kirchhof zu, „können wir erkennen: Unser Land braucht eine neue Mentalität. Geht nicht – gibt's nicht.“