: Gewerkschaft sagt Riester ab
Der SPD-Wahlaufruf hunderter Funktionäre trifft bei Gewerkschaftern in Nordrhein-Westfalen auf wenig Begeisterung. DGB, Verdi und IGBCE auf Distanz. Starke Unterstützung nur von den Metallern
VON ANDREAS WYPUTTA
Wochenlang, erzählen Gewerkschafter, habe Walter Riester für seinen Wahlaufruf zugunsten der SPD geworben. Doch ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen, im ehemaligen Stammland der Sozialdemokraten, trifft die Initiative des Arbeits- und Sozialministers des ersten Kabinetts Schröder („Riester-Rente“) auf wenig Begeisterung. Zwar unterschrieben bundesweit über 300 Gewerkschaftsfunktionäre den Aufruf Riesters, der unter der Überschrift „Soziale Demokratie und Verantwortung verbinden“ als Anzeige in der Frankfurter Rundschau erschien. In NRW aber bleiben der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und selbst die den Sozialdemokraten nahe stehende Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie auf Distanz.
„Jeder macht sein Kreuzchen da, wo er meint“, sagt nicht nur der nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Walter Haas. Gefragt nach Riesters Vorstoß, reagiert auch Günter Isemeyer vom Verdi-Landesbezirk frostig: „Was haben wir damit zu tun“, fragt der Sprecher zurück. Jede Unterschrift von Gewerkschaftern unter den Wahlaufruf sei „Privatsache“, die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi „parteipolitisch neutral“ – auch der grüne Verdi-Bundesvorsitzende Frank Bsirske, in der Vergangenheit scharfer Kritiker der rot-grünen Hartz-Arbeitsmarktgesetze, hat Riesters Vorstoß wie auch DGB-Bundeschef Michael Sommer nicht unterschrieben.
Selbst bei der in der Vergangenheit immer SPD-nahen Bergbaugewerkschaft IGBCE will sich niemand zur Riester-Initiative bekennen. Bei den Landesbezirken Westfalen und Nordrhein ist niemand zu erreichen. „Wir haben noch nie zur Wahl einer bestimmten Partei aufgerufen“, sagt auch Michael Denecke, Sprecher der IGBCE-Zentrale in Hannover. Deshalb zähle auch der IGBCE-Bundesvorsitzende Hubertus Schmoldt nicht zu den Unterzeichnern. „Wir sind eine Einheitsgewerkschaft und nehmen nur inhaltlich, aber nicht parteipolitisch Stellung“, sagt Denecke.
Unterstützung bekommt Riester dagegen von der nordrhein-westfälischen IG Metall – vor seiner Zeit als Minister war Riester selbst einmal zweiter Vorsitzender der einst mächtigsten Einzelgewerkschaft Deutschlands. „Viele unserer Mitglieder haben den Aufruf unterzeichnet“, freut sich Wolfgang Nettelstroth. Beispielhaft nennt der Sprecher Wilhelm Segerath, den Betriebsratsvorsitzenden bei ThyssenKrupp Stahl und den Konzernbetriebsrat Schlenz. Auch Andreas Wendland, Betriebsrat beim Bocholter Windkraftanlagenhersteller Flender, unterstütze Riesters Aufruf.
„Wir brauchen bei der Bundestagswahl eine Entscheidung, die das Ende der Tarifautonomie, der Mitbestimmung, des Kündigungsschutzes verhindert“, so Nettelstroth. Die IG Metall rufe alle Bürgerinnen und Bürger auf, eine Partei zu wählen, „die in diesem Sinne Regierungsverantwortung übernehmen will“, sagt der Metaller-Sprecher – und meint die SPD: Riesters SPD-Wahlaufruf kritisiert gerade den angeblich mangelnden Gestaltungswillen der neuen Konkurrenz der Linkspartei (siehe Kasten). „Eine Partei, die nach eigenem Bekunden keine politische Verantwortung übernehmen will, ist aus unserer Sicht keine Alternative“, heißt es dort.
Genau das ist auch die Hoffnung der Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen, die bei der Bundestagswahl eine weitere bittere Niederlage erleben könnten. „Diese selbstgewählte machtpolitische Abstinenz der Linken ist doch Gewerkschaftern schwer zu vermitteln“, hofft Bernd Neuendorf, Sprecher der NRW-SPD. „Gerade in den Betrieben wollen Gewerkschafter doch mitgestalten“. Die „Fundamentalopposition“ der Linken sei da wenig hilfreich, findet Neuendorf und sieht sich bereits durch leicht sinkende Umfragewerte der Linkspartei bestätigt. Viele ehemalige SPD-Wähler, die derzeit mit der neuen Linken sympathisierten, könnten bei der Bundestagswahl doch wieder SPD wählen, so die Hoffnung der Sozialdemokraten. „Viele von der Linkspartei vertretene Inhalte sind zwar wünschenswert“, räumt selbst SPD-Sprecher Bernd Neuendorf ein, „aber realitätsfremd“.