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Archiv-Artikel

Kultimulti am Ostgrill

FILM Der Platz hinter dem Ostbahnhof ist ein rauer Ort mit Ecken und Kanten. Einige Geschichten, die sich dort zugetragen haben, wurden nun verfilmt – und vor Ort gezeigt

Der Hermann-Stöhr-Platz hinter dem Ostbahnhof beherbergt eine Welt aus Frittierfett, Neonlicht und Polyester, errichtet von Imbissbudenbetreibern und Klamottenhändlern. Erika verkauft in ihrem „Ostgrill“ Pommes Schranke und Multivitaminsaft an Rentnerinnen, die ihre Zigaretten in schwarz-rot-goldenen Aschenbechern ausdrücken und von den Tücken der „Kultimulti-Gesellschaft“ sprechen – „oder wie heißt das noch mal, was wir hier haben?“ Am Stand ein paar Meter weiter werden T-Shirts mit Greifvögeln in Air-Brush-Optik feilgeboten. Wer hier bis in die Abendstunden arbeitet, kennt die Härten der Existenz nicht nur vom Hörensagen.

Eingeklemmt zwischen den Buden steht am Mittwochabend eine Leinwand, davor drängt sich ein junges Filmpublikum. Denn gleich wird hier ein Dokumentarfilm gezeigt, der sich mit ebendiesem Platz hinter dem Ostbahnhof befasst. Die Filmemacher Lenka Ritschny und Benjamin Behnisch haben die Menschen in ihren Buden porträtiert, unaufgeregt und aufmerksam.

Menschen wie Vladimir, der einst als Ingenieur ein Unternehmen in Riga leitete und nun eben Maultaschen in Berlin verkauft. Er sagt das, als ob es zwischen dem einen und dem anderen Job keinen Unterschied gäbe. „Seit 19 Jahren beschäftige ich mich mit Pelmeni“, präzisiert der dicke, weißhaarige Mann und strahlt. Das ist das Talent Vladimirs: fröhliche Hingabe. Sein Traum: „Ich möchte einen Park bauen, er soll Mini-Sowjetunion heißen.“

Film nach Feierabend

Den Film dort zu zeigen, wo er gedreht wurde, erweist sich als gute Idee. Während er läuft, legt sich die Nacht über den Hermann-Stöhr-Platz. Die Imbissbuden schließen und einige Betreiber stoßen nach Feierabend zum Filmgucken dazu. Sie sehen sich zum ersten Mal auf einer Leinwand. Manche lachen Tränen über sich selbst, andere sind sich ihrer Außenwirkung unsicher und blicken schüchtern umher.

Erika, die Betreiberin vom „Ostgrill“, verpasst die Vorführung. „Leider keine Zeit“, sagt sie und steckt sich ihre blondierten Haare hinter die Ohren. Bis spät abends frittiert sie Pommes. Danach will sie schnell nach Hause zu ihrem Enkelkind, das sie mit ihrem Mann großzieht.

JOANNA ITZEK

■ Nächste Vorführung von „Hinterm Ostbahnhof“: 8. 10., 20 Uhr, Vierte Welt, Adalbertstr. 96