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Archiv-Artikel

Zeitlose Zwiegespräche

MUSIK-DIALOG Seit fünf Jahren schafft das Label Erased Tapes Raum für musikalische Dialoge jenseits von Trends und Genre-Schubladen. Zur Feier des Geburtstags sind nun Nils Frahm, Ólafur Arnalds und A Winged Victory For The Sullen gemeinsam auf Tour

Dröhnende Gitarren treffen auf Streicher in Zeitlupe, Waldhorn und Fagott

VON ROBERT MATTHIES

Meist verspricht sie mehr, als sie halten kann, die oft beschworene Rede vom Zwiegespräch zwischen Musiker und Instrument. Mehr als ein Monolog steckt tatsächlich selten dahinter – dass zwei sprechen bedeutet schließlich: dass der andere auch mal den Ton angeben kann. Nils Frahm mag man derlei kaschierte Einseitigkeit nicht unterstellen, wenn der in Berlin lebende gebürtige Hamburger vom Piano als Gesprächspartner spricht. Denn nicht selten beginnt seine Klavier-Konversation tatsächlich mit konzentriertem Zuhören. Um dem Gegenüber ganz nah zu sein, ist Koproduzent Peter Broderick – selbst Klavier-Virtuose und Kurator der „Piano Series“ des schwedischen Labels Kning Disk – während der Aufnahmen für Frahms Beitrag „The Bells“ vor zwei Jahren ins Instrument geklettert, hat sich auf die Saiten gelegt und von innen Anweisungen gegeben: „Peter Is Dead In The Piano“ heißt das Stück.

Und genau zugehört hat der Neo-Klassik-Pionier nicht nur seinem Instrument. Aufgenommen wurden die elf Stücke in nur zwei Nächten in der Berliner Grunewaldkirche, Ausgangspunkt waren dabei nur ein paar fragmentarische Kompositionen. Im Booklet schreibt Broderick etwa, wie er Frahm mitten in der Nacht ermuntert hat, ein Stück nur mit den Noten C, E und G zu spielen. Nicht der Plan des Komponisten stand im Vordergrund, sondern die aufmerksame Hingabe an Klang und Einklang von Klavier und Raum.

Auch Frahms aktuelles Album „Felt“ ist Ergebnis eines ungewohnt innigen Zwiegesprächs. Am Beginn stand eigentlich bloß die Rücksicht auf die nächtliche Ruhe der Nachbarn. Mit Filz hat Frahm sein Klavier gedämpft, ganz behutsam gespielt, die Mikrofone direkt ins Instrument gestellt – und genau zugehört. Und war überrascht, wie schön seine subtilen Klavier-Skizzen inmitten all dessen klingen, was sonst als störende Nebengeräusche ausgeschlossen wird: das Ächzen des Fußbodens, das Scharren der Mechanik, das Quietschen der Pedale und das Schnaufen des Pianisten. Es ist diese ungewöhnliche Intimität, der „Felt“ eine atemberaubende Intensität und Eindringlichkeit verdankt.

Erschienen ist das Album ebenso wie zuvor schon „The Bells“ auf dem in Berlin und London ansässigen Label Erased Tapes, das der Brite Robert Paths vor fünf Jahren ausdrücklich als Raum für derart zeitlose Dialoge jenseits popkultureller Trends und Genre-Schubladen gegründet hat. Um Traditionelles mit Zeitgenössischem und Digitales mit Analogem ins Gespräch zu bringen und daraus Substanzielles zu machen. Ob jemand zu seinem Label passt, entscheidet Paths dabei nach einem einfachen Kriterium – das die Entscheidung selbst nicht selten schwer macht: „Jemanden zu finden, der aus tiefster Seele komponiert und nicht, weil er jemandem gefallen will.“

Leicht ist die Entscheidung indes ebenso wie bei Frahm bei dessen Labelkollege Ólafur Arnalds gefallen. Der isländische Multiinstrumentalist, der noch vor nicht allzu langer Zeit in Hardcorebands Trommelfelle geprügelt hat, macht seit fünf Jahren mit sanfter, wortloser elektronischer Kammermusik von sich reden, hat vor zwei Jahren auf seinem Album „… and they have escaped the weight of darkness“ fragiles Piano, dissonante Streicher, hintergründige Synthies und unerwartete Schlagzeugparts zu einer bezaubernden 40-minütigen Elegie über das Verschwinden des Lichts verstrickt.

Letztes Jahr gab es dann eine Fortsetzung seines umjubelten Albums „Found Songs“ von 2009. Eine Woche lang hat der 26-Jährige in seinem Reykjavíker Wohnzimmer jeden Tag einen neuen Song aufgenommen und anschließend als Video ins Internet gestellt. Schlicht arrangierte Stücke, die ganz ähnlich wie bei Frahm – mit dem Arnalds im Übrigen gerade die erste gemeinsame EP „Stare“ veröffentlicht hat – von der besonderen Atmosphäre ihrer Entstehung leben. Auch hier hört man in ruhigen Momenten jedes Knarren des Fußbodens.

Unterschlupf bei Erased Tapes hat im letzten Jahr folgerichtig auch der vor allem für seinen Soundtrack zu Sofia Coppolas „Marie Antionette“ bekannte kalifornische Pianist und Komponist Dustin O’Halloran mit seinem Projekt A Winged Victory for the Sullen gefunden, das er gemeinsam mit Adam Wiltzie vom Minimal-Ambient- und Drone-Duo Stars of the Lid eingespielt hat: Schwermütig dröhnende Gitarren treffen auf Streicher in Zeitlupe, Waldhorn und Fagott. Und auch hier spielt der Dialog mit dem Raum seine Rolle: Aufgenommen wurde das Album unter anderem in einem ehemaligen DDR-Radiostudio in Berlin – und in der Grunewaldkirche.

Am Montag sind Nils Frahm, Ólafur Arnalds und A Winged Victory For The Sullen zur Feier des Erased-Tapes-Geburtstages in den Fliegenden Bauten zu Gast.

■ Mo, 8. 10., 20 Uhr, Fliegende Bauten, Glacischaussee 4