In den Ruinen von Pittsburgh

Diese Zombies sind gleicher als gleich: Mit „Land of the Dead“ knüpft George A. Romero an seine klassische Trilogie an, kann aber ihrem Vermächtnis nicht gerecht werden. Immerhin: Die Grenze verläuft weiterhin nicht zwischen Menschen und Untoten, sondern zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten

Nirgendwo funktioniert das amerikanische Ideal des Melting Pots besser alsin Romeros Horrorfilmen

VON ANDREAS BUSCHE

George A. Romero scheint ein ähnliches Schicksal zu widerfahren wie George Lucas. Verfolgt von den Geistern, die er rief, ist er dazu verdammt, ein Franchise, das zu Anfängen seiner Karriere zurückreicht, bis ins hohe Alter auszuschlachten. Mit dem einen Unterschied, dass die „Star Wars“-Filme George Lucas immerhin ein kleines Imperium bescherten, während Romero wahrscheinlich derjenige bleibt, der von seiner „Zombie“-Trilogie am wenigsten profitieren konnte. Die letzte „Zombie“-Welle hat ihn gründlich übergangen. Nun ist er nach fast 20-jähriger Abstinenz noch einmal aus dem Ruhestand zurückgekehrt, um mit „Land of the Dead“ seine vermeintlich abgeschlossene Trilogie fortzuführen (auch das hat er mit Lucas gemein). Spätestens Zack Snyders revisionistisches „Dawn of the Dead“-Remake muss Romero überzeugt haben, dass der „Zombie“-Film wieder eines sozialen Gewissens bedarf.

Romero hat über die Jahre zu seinen Untoten ein geradezu protektionistische Verhältnis entwickelt – obwohl er es auch war, der 1968 mit „Die Nacht der lebenden Toten“ die eiserne „Kopfschuss“-Regel eingeführt hatte, die mittlerweile ins Reich der Populärmythen eingegangen ist. Romeros Zombies waren stets mehr als eine apokalyptische Plage oder außerzivilisatorische Invasoren; im Gegenteil, sie kamen mitten aus der Gesellschaft; ihr Habitus entlarvte ihre Klassenzugehörigkeit. Auch in „Land of the Dead“ ist die Zombiemeute wieder aus allen gesellschaftlichen Milieus verschmolzen: ein Cheerleader-Mädchen, ein Beil schwingender Schlachter-Zombie oder ein untoter mexikanischer Gärtner verleihen der amorphen Masse ein demografisches Profil. Nirgendwo funktioniert das amerikanische Ideal des Melting Pots besser als in Romeros Horrorfilmen. Ob Ethnie, Klasse oder Geschlecht – seine Zombies sind gleicher als gleich.

Vielleicht ist es genau das, was seine Zombies so bedrohlich erscheinen lässt. „Land of the Dead“, der Romeros gesellschaftliche Anti-Utopie aus „Dawn of the Dead“ (1978) und „Day of the Dead“ (1985) auf die Spitze treibt, spielt in einer postzivilisatorischen, strikt segregierten Welt, von der Proletariat wie Zombies gleichermaßen ausgeschlossen sind. In den Ruinen von Pittsburgh, Romeros alter Wirkungsstätte, kämpfen Privatmilizen, Kleinganoven, Obdachlose und Zombies um die letzten Ressourcen, während die Reichen es sich auf der anderen Seite des Flusses in einem hochmodernen Wolkenkratzer, einer Mischung aus gated community und Shopping Mall, eingerichtet haben. Hier regiert Kaufman (Dennis Hopper in seiner gewohnten Rolle als Soziopath) über eine ausgewählte Spezies von Konsumenten; „Fiddler’s Green“, so der Name der Zufluchtsstätte, ist keine Arche Noah, bloß eine komprimierte Form von Kapitalismus.

Cholo (John Leguizamo) ist das Bindeglied zwischen Kaufman und den Besitzlosen, die Nacht für Nacht die Straßen nach Verwertbarem durchstreifen. Er gehört zu einer Gruppe von Söldnern unter der Führung eines nachdenklichen Rambo-Verschnitts (Simon Baker), die für Ordnung im rechtsfreien Teil Pittsburghs sorgen. Cholo versorgt Kaufman mit Luxusgütern von der Straße, in der Hoffnung, irgendwann in die High Society von Fiddler’s Green aufgenommen zu werden. Bis Kaufman ihn eines Nachts mit der Undurchlässigkeit seiner Gesellschaftsordnung konfrontiert. Unter Waffengewalt wird Cholo an seinen angestammten Platz verwiesen: zu den Plünderern, Obdachlosen, Huren – und Zombies.

Romeros Bewusstsein für politische Veränderungen verleiht seinen Zombie-Filmen eine sozialkritische Note über den reinen Gore-Wert hinaus. „Die Nacht der lebenden Toten“ entstand unverkennbar unter dem Eindruck des Vietnamkrieges und der erstarkten Bürgerrechtsbewegungen. Romeros Held war ein Afroamerikaner, der am Ende, als letzter Überlebender, von einem weißen Lynchmob erschossen wurde. Die Konsumkritik in „Dawn of the Dead“, wieder mit einem schwarzen Hauptdarsteller, lieferte einen satirischen Ausblick auf die bevorstehende Reaganomics-Dekade, während „Day of the Dead“, Romeros düsterster Zombie-Film, entstanden auf dem Höhepunkt von Reagans Star-Wars-Programm, eine drastische Abrechnung mit der Militarisierung Amerikas darstellte. Eine darwinistische Tendenz in Romeros liberaler Zombie-Metaphorik (Unterprivilegierte, Klassenlose, Globalisierungsopfer) war dabei nie ganz von der Hand zu weisen. So sehr Romero auch mit seinen Untoten sympathisierte, das Recht des Stärkeren war in allen seinen Filmen bestimmend. Trotzdem macht auch „Land of the Dead“ unmissverständlich klar, dass die Grenze bei Romero nicht zwischen Menschen und Zombies verläuft, sondern zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten.

Bezeichnenderweise hat Romero die Rolle Kaufmans mit Dennis Hopper besetzt, der Bush unterstützt. Hoppers trockenes „Wir verhandeln nicht mit Terroristen!“ gibt die politische Linie vor, gegen die Romeros Filme seit nunmehr 37 Jahren opponieren. Doch kann „Land of the Dead“ auch nicht verhehlen, dass Romeros Politik immer noch tief in den Achtzigerjahren verwurzelt ist. Das ist vielleicht die größte Enttäuschung des Films. Die Idee eines Großkapitals, das sich in seinen Wolkenkratzern verbarrikadiert hat, rangiert irgendwo zwischen „Stirb Langsam“-Japanophobie (die amerikanische Urangst der Achtziger, dass japanische Konzerne die nationale Wirtschaft untergraben) und läppischen B-Movies wie „Running Man“. Mit unsäglichen Dialogen aus der Actionfilm-C-Liga (Asia Argento hat wahrlich Besseres verdient) und einem Faible für billige Explosionen rangiert „Land of the Dead“ in der Nähe von John Carpenters Spätwerk. Dem Vermächtnis seiner Trilogie kann Romero damit nicht gerecht werden.

Doch die Evolutionstheorie von „Land of the Dead“, die direkt an die Zombie-Experimente aus „Day of the Dead“ anknüpft, eröffnet Romeros Zombie-Serie auch neue Möglichkeiten. Romeros Untote sind lernfähig. Ein schwarzer Zombie-Hüne (im Abspann nur Big Daddy genannt) ist so etwas wie Romeros Integrationsfigur für eine neue Multikulti-Gesellschaft, in der die Ausgebeuteten Kontrolle über die Ressourcen ausüben. Eine kanibalistische Kulturrevolution, wie sie sich schon Godard in den Sechzigern ersonnen hatte, ist mit dem nächsten Romero-Film wohl trotzdem nicht zu erwarten. Romero ist und bleibt ein unverbesserlicher Pessimist.

„Land of the Dead“, Regie: George A. Romero. Mit Dennis Hopper, Asia Argento u. a., USA 2005, 93 Min.