piwik no script img

Archiv-Artikel

Das verbeulte Labyrinth

Alte Liebe (3): Minigolf. Man nahm diejenigen Menschen mit auf den Parcours, die diese sanften Turbulenzen in der Magengegend verursachten, und schaute zu, wie sich die beschwärmten Wesen konzentrierten

Es prickelt nicht mehr, aber ganz verschwinden wird sie nie, die alte Liebe. Die taz nord würdigt in einer Serie Freizeit- und Kulturvergnügungen, die dereinst hip waren – und heute auf kleiner Flamme und in veränderter Gestalt weiterköcheln.

70er Jahre, Familienausflug, Campingurlaub, Kindergeburtstag: da war es eine echte Attraktion, diese Mischung aus Capri Sonne, einputten, Eis essen. Und endlich konnte man es dem großen starken Bruder einmal zeigen. Nicht um Muskelkraft ging es schließlich, sondern um Geduld und Fingerspitzengefühl. Da hatte jeder eine Siegeschance. Auch wenn meist der Gewinner des Minigolf-Nachmittags wurde, dessen Albereien die Konzentration der Mitspieler am besten zu stören vermochten.

Weil dieser generationenübergreifende Gruppensport nicht nur billig war, sondern mit einem so schlichten wie allumfassenden Regelwerk auch öden Wochenenden Halt geben konnte, wurde er schnell beliebt bei den Deutschen. Einige der so sozialisierten Kinder nahmen die Begeisterung mit in die Jugendzeit, nutzten sie zum Kennenlernen des anderen Geschlechts. Diejenigen Menschen wurden auf den Parcours geladen, die in der Magengegend diese sanften Turbulenzen verursachten. Gut, dass sich die Anlagen abgeschieden in Parks verstecken. Wenn nicht gerade Familienausflugssonntag, Campingurlaubszeit, Kindergeburtstagssamstag ist, vermitteln Baum- und Buschbestand auch ein Gefühl der Idylle. Ideal für erste Berührungen – mit den Augen: Man schaut genießerischen Blicks zu, wie sich die beschwärmten Wesen konzentrieren, mit dem Zeigefingergriff oder fäustlings zum Schiebe-, auch mal zum Ziehschnitt ansetzen und versuchen, das Tempo eines Balles in den Griff zu bekommen, sein Bandenverhalten bei unterschiedlicher Schlagstärke richtig einzuschätzen.

Wie erlaucht wirken Körper in der angespannten Haltung vor dem Abschlag, mit welcher Eleganz entspannen sie sich in der Schlagbewegung. Ein Sport für Ästheten. Was sich schon in den späten Achtzigern nicht mehr vermittelt hat. Der Charme des Minigolfens verblasste. Anlagen verfielen. Die kleine ungeschminkte Schwester des mondän überschminkten Rasengolfs wurde verspottet, musste als Synonym für gepflegte Langeweile, nervtötende Freizeitgestaltung, Piefig- und Kleinbürgerlichkeit herhalten.

Heute ist das Schlimmste überstanden. Minigolf hat überlebt. Aber was ist wiederzuerkennen, wenn die Generation Minigolf an die Orte der Kind- und ersten Verliebtheit zurückkehrt? Die Punktzettel sind weiterhin an diesen schäbig grünen Plastikblocks festgeklemmt. Nach wie vor stehen nur zwei Schlägerarten zur Auswahl. Immer noch gibt es das schlecht befestigte Netz, den von Unkraut umrankten Tunnel, das verbeulte Labyrinth – und Bälle, die auf holprigen Bahnen unberechenbare Kringelkurse um die Pyramiden und Kegelstümpfe tänzeln oder in einer Pfütze liegen bleiben. Väter schimpfen mit den Kindern, die überall lieber wären als mit diesem uncoolen Erwachsenenpack an dieser uncoolsten Stelle des Universums. Kindergeburtstage? Fehlanzeige. Die Freizeitgesellschaft betrubelt andere Orte.

Dabei war Minigolf als Volkssport konzipiert worden. In den 50er Jahren hat ein Schweizer Gartenarchitekt namens Paul Bogni den genormten Golfplatz mit 18 Loch für jedermann entworfen und patentrechtlich schützen lassen. Wo Minigolf dran steht, da trifft man seither weltweit auf baugleiche Anlagen aus Eternitplatten, die ironisch die Bodenwellen des Golfssports imitieren.

Nur der Ball hat sich jedem Normierungszwang widersetzt. Könner besitzen für jede Bahn und jedes Wetter einen anderen. Die Bälle unterscheiden sich in Größe, Gewicht, Härte, Farbe, Material – und können Persönlichkeit entwickeln. Wärmt man einen Ball, dann läuft er aggressiver, spricht man auf ihn ein, kullert er nervös am Loch vorbei. Minigolf ist und bleibt ein Sport für einfühlsame Menschen.

Auf der aktuellen Zeitgeistskala könnte der Sport, für den es auch eine Bundesliga gibt, sogar Coolnesspunkte einheimsen. Anstrengung ist out, Spaß in, hat das Hamburger BAT- Freizeitforschungsinstitut herausgefunden. Das Runde muss ins Runde – zur Wiederherstellung einer Harmonie. Und glückskribbeliger Turbulenzen in der Magengegend. Jens Fischer