: Unter Verdacht
Lidokino (3): George Clooneys Wettbewerbsbeitrag „Good Night, and Good Luck“ überzeugtbeim Filmfestival in Venedig. Die Sicherheitsvorkehrungen überzeugen auch – sogar etwas zu sehr
VON CRISTINA NORD
Die Sicherheitskraft am ersten Gatter findet: „Die Tasche ist viel zu groß.“ Die Tasche ist eine von jenen aus Lastwagenplanen gefertigten Einzelstücken, die mal sehr en vogue waren; aus Treue nehme ich sie auf alle Reisen mit, egal wie schäbig sie inzwischen aussieht. „Wozu brauchen Sie eine so große Tasche?“, fragt der kleine Mann.
Ich packe die Tasche aus und erkläre: ein Pullover, der Klimaanlage im Kino wegen. Ein Notizbuch, weil ich mir im Kino Notizen mache, sobald mich der Film interessiert. Das Programmheft. Schokoladenkekse, weil zwischen Frühstück und Mittagssandwich viele Stunden verstreichen. Eine Flasche mit Wasser, allein schon, weil in mehreren Szenen von „La vida secreta de las palabras“ („Das geheime Leben der Wörter“), dem neuen Film Isabel Coixets, ein Plakat an der Wand hängt. Darauf steht: „Trinke täglich mindestens acht Gläser Flüssigkeit.“ Der Sicherheitsmann lässt mich passieren. Ein paar Stunden später stehe ich erneut vor einem Gatter: „Die Tasche ist zu groß“, findet mein Gegenüber, diesmal ist es ein Polizist, „das geht auf keinen Fall.“ Es heißt, auf dem Dach des Palazzo del Cinema seien am Abend der Eröffnung Scharfschützen postiert worden – gesehen habe ich keinen. Es knallte tatsächlich, doch das war das Feuerwerk, mit dem am Strand des Excelsior-Hotels Tsui Harks „Seven Swords“ gefeiert wurde.
„La vida secreta de las palabras“, ein Beitrag zum Orizzonti-Programm, reicht an Coixets vorangegangenen Film „My Life Without Me“ nicht heran. Erzählen will der Film vom Weiterleben der Traumatisierten, doch zu dekorativ setzt Coixet die Narben auf dem Oberkörper der Protagonistin in Szene, zu wenig Mühe gibt sie sich, Bilder statt Dialogzeilen für die Verwundungen der Vergangenheit zu finden, als dass man ihr folgen wollte.
Erfreulicher ist George Clooneys Wettbewerbsbeitrag „Good Night, and Good Luck“. Der Film ist in Schwarzweiß gedreht, er spielt vor zeitgeschichtlichem Hintergrund und beruht auf einer wahren Geschichte: der des Fernsehjounalisten Edward R. Murrow, der 1953 begann, zu Joseph McCarthy und dessen Methoden zu recherchieren und die Ergebnisse publik zu machen, obwohl er in seinem Sender auf zahlreiche Widerstände stieß.
Gespielt wird dieser aufrechte Journalist von David Strathairn, er dominiert den Film mit seiner steinernen Miene und dem skeptischen Blick. Strathairns Augen sind wie geschaffen für die Bildkompositionen von Robert Elswit, dem Director of Photography: In den satten Schwarzweiß-Arrangements blitzen sie als tiefschwarze Punkte. Häufig setzt Clooney historisches Originalmaterial ein. Man sieht McCarthy, wird Zeuge seiner inquisitorischen Methoden, seiner fatale Logik: Wer mir nicht bedingungslos folgt, steht auf der falschen Seite. Murrow, der Journalist, muss gar nicht viel tun. Er zeigt diese Bilder in seinem TV-Programm, und McCarthy desavouiert sich wie von selbst.
Zwar wird es an keiner Stelle ausgesprochen, doch „Good Night, and Good Luck“ lässt keine Zweifel daran, dass das Panorama der Verdächtigung, der Willkür, der Denunziation und des Duckmäusertums, das der Film zeigt, in die Gegenwart hereinragt. An einer Stelle etwa sagt Murrow: „Wir können die Freiheit nicht außerhalb unseres Landes verteidigen und sie zu Hause mit Füßen treten.“ Man müsste die Augen verschließen, um hierin kein Statement zur gegenwärtigen politischen Situation zu sehen.
In seiner Schlussansprache klagt Murrow über ein Fernsehen, das nichts anderes mehr ist „als Licht und Draht in einem Kasten“, weil es unterhält, statt aufzuklären, und den Bedürfnissen der Geldgeber eher Rechnung trägt als dem Anspruch des Zuschauers, informiert zu werden. Die Klarheit solcher Sätze eignet auch den Schwarzweiß-Kompositionen, sie wirkt nie eindimensional, sondern solide. Schwieriger ist, dass die Figuren wenig Raum haben, sich zu entwickeln; sie sind im Augenblick ihres ersten Auftritts definiert. „Good Night, and Good Luck“ schafft keinen Raum für innere Konflikte und Ambivalenzen. Einem Kollegen Murrows ist das Unglück von Anfang an im Gesicht geschrieben. Clooney lässt ihm dann nicht mehr viel Zeit, bis er den Gashahn seines Herdes aufdrehen muss.