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Archiv-Artikel

Erbfeind mit menschlichem Antlitz

SATAN Der Kunsthistoriker Daniel Arasse zeichnet die Geschichte der „Bildnisse des Teufels“ nach

Der 2003 verstorbene Kunsthistoriker Daniel Arasse zählte zu den Großen seines Faches. In der aus dem Nachlass veröffentlichten und nun in deutscher Übersetzung vorliegenden Monografie „Bildnisse des Teufels“ ist es ihm ein weiteres Mal gelungen, das Lämpchen fleißigen Spezialistenwissens mit ungewöhnlicher Strahlkraft aufleuchten zu lassen.

Der Aufhänger des schmalen Buchs, das von weit mehr als den wenigen Jahrzehnten Renaissancemalerei, die den Vordergrund abgeben, handelt, ist eine von Giorgio Vasari überlieferte Anekdote aus dem Leben Michelangelos: Dieser soll einen Kardinal, der wegen der vielen nackten Körper die Fertigstellung des Freskos „Jüngstes Gericht“ verhindern wollte, aus Rache als nackten Teufel just in dieses Gemälde hineinporträtiert haben.

An der Anekdote interessiert Arasse nicht der Umstand, dass ein Kardinal als Teufel, sondern dass ein Teufel als Mensch repräsentiert werden kann. Bis zu Beginn der Renaissance, so erinnert er, war der Teufel ein hybrides Monster: ein Mischwesen aus Tier- und Menschenteilen. Mit der Renaissance endet diese von orientalischen und antiken Quellen beeinflusste Bildtradition. Sofern er überhaupt noch gemalt wird, erscheint der Teufel nun in menschlicher Gestalt.

Nicht Schweif, Hörner und Klauen geben ihm seine düstere Aura, sondern die „diabolische“ Hässlichkeit der Gesichtszüge. Wohl in Anlehnung an Foucaults Wendung vom „Wahnsinn mit menschlichem Antlitz“ schreibt Arasse: Der moderne Teufel ist zum „Teufel mit menschlichem Antlitz“ geworden.

Ein Hauptaugenmerk von Arasse gilt der Schattenseite dieser kulturellen Veränderung. Sie bedeutet eine problematische Auswechslung der Projektionsfläche für das „Andere“. Im mittelalterlichen Weltbild war das Andere das außermenschliche Chaos, das Gottes Schöpfungsakt aus dem Kosmos ausgeschlossen hat. Adäquates Symbol dafür war das Teufelsmonster mit dem heillosen Kauderwelsch seiner zusammengewürfelten Körperteile. Für die Humanisten – und darin sieht Arasse den eigentlichen Grund für das Verschwinden des mittelalterlichen Teufels – ergibt sich aus ihrer Aufwertung der Freiheit des Menschen, dass das Böse nicht dämonisch aus einem chaotischen Jenseits hereinbricht, sondern eine Dimension des Menschen selbst ist.

Arasse verwendet den Begriff zwar nicht, aber seine Analyse läuft darauf hinaus, dass die aus dem Zuwachs an Autonomiebewusstsein resultierende Teufelsdämmerung in den bildenden Künsten ein Fall von „Dialektik der Aufklärung“ ist. Das fatale Gegenstück der Vermenschlichung des Teufels kann nämlich – wie Michelangelos Rache andeutet – eine neue Disposition zum Verteufeln von Nebenmenschen sein. Renaissancemaler wie Leonardo und Dürer machen sich mit aller Akribie, zu der sie fähig sind, daran, nach physiognomischen Besonderheiten zu fahnden, denen sie das „Andere“ einverleiben können.

Die Monografie endet mit einer direkten Linie, die Arasse von den Hässlichkeitsstudien des 16. Jahrhunderts zu Lombrosos anthropometrischem „Atlas des kriminellen Menschen“ (1887) – einer Verbrecherphysiognomie mit wissenschaftlichem Anspruch – zieht. Die in der Renaissance vollzogene Auslagerung des Teufelsphantasmas aus jenseitigen Höllenwelten in die Nahzone menschlicher Physiognomie materialisiert sich hier zu einem Polizeidispositiv, das Menschen aufgrund ihrer physiognomischer Andersheit ins Visier nimmt. Arasses Geschichte der Entstehung des „Teufels mit menschlichem Antlitz“ erinnert daran: Was für die in den Himmel verschleuderten menschlichen Reichtümer gilt – laut Marx sollen wir sie uns zurückholen –, sollte auf die in die Hölle versenkte menschliche Bosheit wohl besser keine Anwendung finden. CHRISTOF FORDERER

Daniel Arasse: „Bildnisse des Teufels“. Aus dem Französischen von G. H. H. Matthes & Seitz Verlag, 2012 Berlin, 134 Seiten, 17,90 Euro