heute in bremen: Was von Marx übrig bleibt
Die Marx-Festspiele sind in vollem Gange, die Feuilletons voll mit gewogenen Texten über die prognostische Kraft von Karl Marx. Im ZDF gibt Mario Adorf den Theoretiker als freundlichen, älteren Herrn.
Dabei schien nach 1989 alles, was mit Marx zu tun hatte beerdigt und begraben. Mit dem autoritären Realsozialismus war scheinbar auch die Kapitalismuskritik untergegangen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die euphorische Erwartung, dass die Marktwirtschaft einen globalen, rauschenden Siegeszug antreten würde, hat viele Dämpfer bekommen. Die Finanzkrise hat ganze Volkswirtschaften beschädigt. Die Erkenntnis, dass Krise zum Kapitalismus gehört wie Regen zu Bremen, ist mittlerweile wieder Allgemeingut.
Wie das Werk von Marx zum Kanon wurde, erklärt Christiana Morina. Sie ist Historikerin, arbeitet in Amsterdam und veröffentlichte 2017 die Studie „Die Erfindung des Marxismus“. Darin beleuchtete sie in zehn autobiographischen Skizzen, von Lenin über Kautsky und Viktor Adler bis zu Rosa Luxemburg, wie eine Generation von Theoretikern Ende des 19. Jahrhunderts den Marxismus als politisches System schuf.
Mit ihr diskutiert Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der taz und Autorin des Buches „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“, eines klugen Streifzugs durch die Geschichte der Versuche, den Kapitalismus zu verstehen – von Adam Smith über Marx bis Keynes. „Marx war der erste Ökonom, der die Dynamik des Kapitalismus richtig beschrieben hat“, schreibt Herrmann. Er sei schon vor 150 Jahren weiter gewesen als viele Volkswirte heute, habe klar erkannt, dass der Kapitalismus ein globales System ist, das in jede Nische der Erde vordringt. „Er hat richtig prognostiziert, dass es echten Wettbewerb nicht gibt, sondern dass am Ende nur wenige Großkonzerne übrig bleiben, die die Wirtschaft kontrollieren.“
Aber: Ist die derzeitige Marx-Renaissance mehr als Mode? Kann man mit Marx 2018 noch etwas anfangen, um den digitalen Kapitalismus zu begreifen? Kann man schließlich Marx vom Marxismus mit all seinen totalitären Verhärtungen trennen? Um diese Fragen wird es heute Abend im taz Salon gehen. Es moderiert Stefan Reinecke, Parlamentskorrespondent der taz.
taz Salon„Die nächsten 200 Jahre Marx“ mit Ulrike Herrmann und Christina Morina, Moderation: Stefan Reinecke, 19 Uhr, Kioto im Kulturzentrum Lagerhaus, Schildstraße 12–19
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen