: Kein Konsens über Grundkonsens
Über soziale Kälte und linke Naivität, Standortpolitik und Kapitalinteressen, Klassenkampf und die Revolution: Ursula Caberta (Linkspartei.PDS/WASG) und Marcus Weinberg (CDU) im taz-Streitgespräch zur Bundestagswahl
Moderation:Sven-Michael Veit
taz: Ist Herr Weinberg für Sie, Frau Caberta, ein sozial kalter Klassenfeind?
Ursula Caberta: Er persönlich nicht, aber wenn er die Pläne der CDU mit umsetzt, wird er sich da wohl einreihen müssen.
Herr Weinberg, ist Frau Caberta für Sie eine illusionistische Linkspopulistin?
Marcus Weinberg: Populistin kann ich noch nicht beurteilen, links wahrscheinlich, illusionär sicherlich. Ich weiß überhaupt nicht, wo im CDU-Programm soziale Kälte propagiert wird.
Caberta: Schon lange wird der Sozialstaat, wie er im Grundgesetz festgeschrieben ist, demontiert, erst von der Kohl-Regierung, jetzt von Rot-Grün. Sie und die CDU wollen das noch verschärfen. Die Aufkündigung des sozialen Konsens in diesem Land, zum Beispiel durch Abschaffung der Vermögenssteuer und die Steuerpläne ihres Herrn Kirchhof, ist die reale Politik Ihrer Partei. Es gibt immer mehr Menschen, denen die Lasten aufgebürdet werden: die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen, die Rentner und vor allem die allein erziehenden Frauen.
Weinberg: Dieser Staat ist eine soziale Gemeinschaft und soll das bleiben. Und deswegen finde ich es richtig, dass die besser Verdienenden die sozial Schwächeren unterstützen. Neben der solidarischen Gesundheitsversorgung müssen wir aber auch die Kosten von Gesundheit im Auge haben. Unser Modell schafft die Abkoppelung der Gesundheits- von den Arbeitskosten und entlastet zudem diejenigen, die nicht so gut verdienen.
Caberta: Wir haben doch jetzt schon ein Zwei-Klassen-System in der Gesundheitsversorgung. Es gibt Menschen, die können es sich nicht mehr leisten, zum Arzt zu gehen, nicht nur wegen der zehn Euro Praxisgebühr, sondern, weil immer mehr privat bezahlt werden muss. Viele Vorsorgeuntersuchungen für Frauen zum Beispiel gibt es nur noch gegen Bares. Diese Beschneidung des Gesundheitssystems ist Teil der Aufkündigung des Sozialstaatsgedankens. Um das neu und sozial zu ordnen, müssen wir wieder mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen ...
Weinberg: Dafür müssen aber die Vorbedingungen geschaffen werden ...
Caberta: Durch Abschaffung des Kündigungsschutzes, wie die CDU das will?
Weinberg: Das gilt doch nur für künftige Arbeitsplätze, nicht für bestehende. Der Kündigungsschutz, wie wir ihn haben, hat die hohe Arbeitslosigkeit nicht verhindert. Es ist doch so: Ein Unternehmen, das kündigen muss, tut dies auch, trotz hoher Kosten und Arbeitsgerichtsprozesse. Aber es wird keine neuen Einstellungen vornehmen, wenn es ihm wirtschaftlich wieder besser geht, wegen des umfassenden Kündigungsschutzes. Weil es das Risiko scheut, falls die Auftragslage wieder schlechter wird. Ich bin doch dafür, Menschen wieder in Arbeit zu bringen, Sie wollen einfach nur den Kündigungsschutz erhalten, wie er ist. Dann sollten Sie arbeitslosen Menschen aber auch ehrlich sagen: Ihr bleibt dauerhaft vor der Tür stehen.
Sie wollen, dass der Staat das alles per Solidaritätsprinzip regelt, aber Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Kassen leer sind ...
Caberta: Das liegt doch daran, dass wir seit 30 Jahren Massenarbeitslosigkeit haben und genau so lange die falsche Wirtschaftspolitik gemacht wurde. Der Staat muss einfach mehr investieren und dafür notfalls mehr Schulden aufnehmen, wir brauchen eine Vermögenssteuer und die konsequente Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Es gibt Untersuchungen, dass allein das bis zu 40 Milliarden Euro Einnahmen bedeuten würde. Das Wichtigste ist aber die grundlegende Wende in der Wirtschaftspolitik ...
Weinberg: Das finde ich auch ...
Caberta: Nur in die falsche Richtung ...
Weinberg: In die richtige. Der Fehler war, dass Deutschland in guten Jahren nichts auf die Seite gelegt hat. Aufkommende Arbeitslosigkeit wurde mit Beschäftigungs- und Investitionsprogrammen bekämpft, die über Schulden finanziert wurden. Und die hohen Kosten der Wiedervereinigung kommen noch hinzu. Das alles führt dazu, dass wir über Bildungspolitik und Sozialversicherung, über Innovation und Investitionen nicht zu diskutieren brauchen, wenn es uns nicht gelingt, Arbeit zu schaffen. Nur dann wird der Staat in der Lage sein, die Sozialsysteme zu modernisieren und zugleich von dieser Schuldenlast herunter zu kommen.
Caberta: Soziales können wir uns also wieder leisten, wenn die Vermögenden und die Unternehmer entlastet und gehätschelt worden sind, bis sie sagen, na gut, schaffen wir mal wieder ein paar Arbeitsplätze? Das ist illusorisch.
Weinberg: Sie hängen doch einem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nach, den es 1970 oder 1973 noch gegeben haben mag. Sie tun so, als ob es keine globalisierten Wirtschafts- und Arbeitsmärkte gäbe, wo die Firmen hingehen oder produzieren lassen können, wo es ihnen am besten gefällt oder wo es am billigsten ist. Die Welt, in der Sie leben, hat mit Klassenkampf zu tun, aber nichts mit der heutigen Realität.
Dann schauen wir doch mal auf die reale Welt am Beispiel Hamburg. Der CDU-Senat investiert 70, 80 Millionen Euro in die Elbphilharmonie in der Hoffnung auf internationales Renommee und Arbeitsplätze, zugleich kürzt er im Sozialen und macht Bildung gebührenpflichtig. Was ist politisch grundsätzlich sinnvoller – 100 Lehrer mehr einstellen oder auf 20 Arbeitsplätze für Küchenhilfen in der Elbphilharmonie hoffen?
Weinberg: Wenn wir heute 100 Lehrer einstellen, wissen wir nicht, wie lange wir die dauerhafte Finanzierung sichern können. Wenn die Steuereinnahmen weiter sinken, müssen wir in ein paar Jahren vielleicht nicht nur die 100 wieder entlassen, sondern noch 200 dazu. Ich setze auf eine Politik der Rahmenbedingungen, damit wie bei der Elbphilharmonie oder Airbus Investoren, Unternehmen und Familien in die Stadt kommen, die längerfristig Steuern zahlen. Mit diesen Einnahmen können wir dann die 100 Lehrer einstellen und noch mehr finanzieren, was wünschenswert ist. Hamburg muss sich präsentieren als eine Stadt, die Menschen anzieht, und das tun wir.
Caberta: Das ist Träumerei. Wer soll sich die Karten für die Elbphilharmonie denn leisten können? Wir brauchen Investitionen für die Menschen, in Bildung und Soziales, wir brauchen Investitionen gegen Armut. Wir müssen nicht den Jungfernstieg sanieren, sondern die verrotteten Schulen.
Ist ein solches Beispiel aus der Landespolitik hier in Hamburg übertragbar auf die Bundespolitik?
Weinberg: Ja insofern, als wir den Standort attraktiver machen müssen, in Deutschland ebenso wie in Hamburg. Und verhindern müssen, dass Firmen abwandern, ins Umland oder in die Slowakei.
Caberta: Ich sage es noch mal, verlassen Sie sich nicht auf die Unternehmer. Geld regiert die Welt, nicht Ihre Träume von einer gesellschaftlichen Verantwortung des Kapitals. Arbeitsplatzsicherung musste in Deutschland immer erkämpft werden, heute erst recht. Sie werden es erleben, die Leute werden auf die Straße gehen gegen ihre Politik ...
Wie viele Tage nach einem schwarz-gelben Sieg bei der Bundestagswahl bricht die Revolution aus, Frau Caberta?
Caberta und Weinberg: (Lachen).
Herr Weinberg, ist Frau Caberta nach diesem Gespräch für Sie eine illusionistische Linkspopulistin?
Weinberg: Populistin nicht, weil sie nicht versucht, mit zu einfachen Antworten Menschen für sich zu gewinnen. Links ja, und etwas naiv, weil sie Grundprobleme verdrängt.
Frau Caberta, ist Herr Weinberg nach diesem Gespräch für Sie ein sozial kalter Klassenfeind?
Caberta: Ja. Wenn er das alles umsetzt, was er ankündigt, ist er das.
Können Sie beide sich vorstellen, im Bundestag als Vertreter Hamburgs kollegial zusammen zu arbeiten?
Weinberg: Ja, sicher.
Caberta: Ja.