: Auf der Suche nach Leichen
Die Rettungskräfte in New Orleans können sich jetzt auch um die Todesopfer kümmern. Die Stadt ist weitgehend evakuiert
Sechs Tage nach Hurrikan „Katrina“ hat in New Orleans die schrecklichste Phase der Bergungsarbeiten begonnen: Helfer durchkämmen überflutete Straßen und Häuser nach Leichen. In der weithin verwüsteten Südstaatenmetropole strömt ein Verwesungsgeruch aus vielen Gebäuden, die Seuchengefahr wird immer bedrohlicher. US-Heimatschutzminister Michael Chertoff hat die Öffentlichkeit am Sonntag auf Horrorszenen vorbereitet. „Wir werden Tote finden, die sich in ihren Häusern versteckt hatten und von der Flut überrascht wurden – es wird so hässlich, wie man es sich in seinen schlimmsten Vorstellungen ausmalt“, sagte Chertoff in einem Interview des Senders Fox News. Die amerikanischen Soldaten sprechen laut US-Nachrichtensender CNN von „Phase zwei“ der Bergungsarbeiten.
Auch im Umfeld von New Orleans begann am Sonntag die systematische Suche nach Opfern. Die Leichen sollen zunächst in Kühllastwagen aufbewahrt werden, ein Gefängnisgebäude wurde zur Leichenhalle umfunktioniert. In den ersten Tagen nach der Katastrophe war das Chaos in New Orleans so groß, dass die Leichen in den Fluten zunächst nur beiseite gestoßen und in Ecken gelegt wurden. Die Helfer hatten sich auf die Rettung der Überlebenden konzentriert.
Unterdessen steht die vollständige Evakuierung der Stadt vor dem Abschluss. Die beiden größten Notunterkünfte, der Superdome und das Convention Center, sind nach US-Medienberichten komplett geräumt.
Jetzt patrouillieren auch schwer bewaffnete Sicherheitskräfte in New Orleans, wo an den Vortagen Plünderungen, Vergewaltigungen und Morde an der Tagesordnung waren. Im Gewerbegebiet loderten am Sonntag weiterhin Brände.
3.000 Soldaten der 82. Fallschirmdivision trafen am Samstag in New Orleans ein. Die US-Armee schickte 300 Luftwaffensoldaten aus dem Irak und Afghanistan zurück nach Mississippi. Präsident Bush hatte zuvor die Entsendung weiterer 7.000 Soldaten in das Katastrophengebiet von Louisiana und Mississippi angeordnet. Die Nationalgarde kündigte Verstärkung durch 10.000 weitere Mitglieder an. In der kommenden Woche sollen mehr als 50.000 Nationalgardisten und Soldaten in den Küstenstaaten im Dienst sein.
Nach offiziellen Angaben wurden vermutlich mehrere tausend Menschen durch den Hurrikan und seine verheerenden Folgen getötet. Rund eine Million Einwohner in drei Bundesstaaten verloren ihr Zuhause. Nach Angaben der Armee wird es fast drei Monate dauern, das Wasser aus New Orleans zu pumpen. Es ist wahrscheinlich mit chemischen Stoffen verseucht: „Wir haben es mit einem Giftcocktail zu tun, der nicht nur Bakterien und Viren aus den Abwasserkanälen, sondern auch Schwermetalle und giftige Chemikalien enthält“, sagte Hugh Kaufman von der staatlichen Umweltschutzagentur EPA. „Da ist Benzin aus Tankstellen drin, Altöl, Putz- und Haushaltsreiniger, Pflanzenschutzmittel. In der Gegend gibt es jede Mange Tanks, in denen gefährliche Substanzen aufbewahrt werden.“ Die Gesamtschäden werden auf bis zu 100 Milliarden Dollar (80 Milliarden Euro) geschätzt. Etwa 345.000 Menschen wurden laut CNN bis Sonntag in Notunterkünften untergebracht, davon 50.000 in Louisiana. Mindestens 350.000 Häuser wurden nach Behördenangaben zerstört. Manche zweifeln schon am Sinn des Wiederaufbaus. „Es sieht so aus, als könnte ein großer Teil des Orts mit einem Bulldozer platt gewalzt werden“, sagte der Bush-Freund und führende Republikaner Dennis Hastert.
Die US-Armee hatte am Samstagmorgen begonnen, tausende von gestrandeten und Not leidenden Menschen mit Hubschraubern auszufliegen. In einer Luftbrücke brachten US-Fluggesellschaften bis Samstagabend rund 10.000 Menschen in Nachbarstaaten. Am Nachmittag trafen dann auch die von New Orleans Bürgermeister Ray Nagin seit Tagen geforderten Busse ein. Insgesamt wurden laut CNN rund 42.000 Überlebende in Nachbarstaaten wie Texas und Arkansas in Sicherheit gebracht. Laut Heimatschutzministerium erhielten bereits 100.000 Betroffene humanitäre Hilfe.
In Houston (Texas) trafen die Flüchtlinge auf große Solidarität. Tausende von Freiwilligen halfen in den Notquartieren, teilten Nahrung, Wasser, Kleidung und Spielsachen aus. Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden Betroffene in neun Bundesstaaten untergebracht. DPA, AFP