Der Präsident greift an, der Kandidat patzt

TV-DUELL Bei der zweiten „Presidential Debate“ offenbart der republikanische Herausforderer seine größte Schwäche: Außenpolitik

■ Festgenommen: Die grüne Präsidentschaftskandidatin Jill Stein wurde am Dienstag vor der Hofstra University in Long Island festgenommen. Sie hatte vergeblich versucht, in den Debattensaal zu gelangen, und sich dann zusammen mit ihrer Vizepräsidentschaftskandidatin Cheri Honkala aus Protest auf die Straße gesetzt.

■ Abgeschmettert: Der Verbraucheranwalt Ralph Nader, 2000 und 2004 grüner Kandidat, versuchte, sich in die Presidential Debates einzuklagen – ohne Erfolg. Die Kommission, die die TV-Duelle organisiert, verlangt mindestens 15 Prozent Unterstützung für einen Kandidaten laut Umfragen.

■ Mitgemacht: Der einzige Kandidat einer dritten Partei, der je bei einer TV-Debatte dabei war, war 1992 der Unternehmer Ross Perot.

■ Wie weiter? Die dritte Debatte findet am 22. Oktober statt. Thema: Außenpolitik. (pkt)

AUS PUEBLO DOROTHEA HAHN

An dem langen Tresen im „Klamm’s Shell“ ist die Sympathie vor Beginn der zweiten TV-Debatte des Wahlkampfs ganz bei Barack Obama. Die meisten, die an diesem Dienstagabend ihr Bier zwischen Fotos von American-Football-Stars und Halloween-Dekorationen trinken, haben schon vor vier Jahren für ihn gestimmt. Und viele meinen, dass der Präsident von Haus aus einer von ihnen ist.

Der Koch formuliert es so: „Obama hat sich seinen Weg an die Universität verdient. Dem anderen Typen ist alles vorgesetzt worden.“ Die Kellnerin sagt: „Sie haben von vornherein alles getan, damit er scheitert.“ Warum? „Weil er schwarz ist.“ Und der Kunde mit dem Pink-Floyd-T-Shirt meint: „Es dauert länger als vier Jahre, um so einen Mist aufzuräumen.“

Aber auch in einem zweiten Punkt sind sich die meisten in der Kneipe einig: Obama muss sich mehr anstrengen. Wenn er wieder so defensiv ist, sind sie nicht sicher, ob sie ihm ihre Stimme geben. Nach der enttäuschenden ersten Debatte haben manche nicht einmal mehr Lust, in ein zweites Mal hören. „Er hat selbst gesagt, dass er zu nett war“, sagt der Koch.

Ein einsamer älterer Mann vor einem besonders großen Glas ruft: „Was ist das für eine beschissene Auswahl: ein Muslim und ein Mormone“. Welcher Muslim? „Der Mann hat den Mittelnamen Hussein“, kommt zurück. Der einsame Trinker sagt, dass er ein registrierter Wähler sei und jüdisch. Aber dass er selbstverständlich nicht wählen werde.

Der Stadtteil Bessimer, in dem sich die Bar befindet, hat schon bessere Zeiten erlebt. Mit dem Ende der Stahlhütte, deren Schornsteine weiterhin die niedrigen Backsteinhäuser überragen, kam der Niedergang. Hier wohnt untere middle class, sagt der Barmann. Außerhalb der USA würde man es „Arbeiterviertel“ nennen. Der Barmann war – wie vor ihm sein Onkel und sein Vater – beim Militär. „Mir ist jeder Präsident recht“, sagt er, „als Soldat folgt man seinem obersten Befehlshaber.“

Mitt Romney steigt so in die zweite Debatte ein, wie er die erste beendet hat: mit einem frontalen Angriff auf Obamas Wirtschaftspolitik. Und listet dessen Versagen der vergangenen vier Jahre auf: beinahe verdoppelte Verschuldung, weiterhin 7,8 Prozent Arbeitslose, Zunahme von Armen und Lebensmittelmarkenempfänger. „Ich werde das ändern“, verspricht Romney. Und verrät wieder nicht, wie.

Auch in der Form bleibt Romney sich selbst treu: Dasselbe linkische Lächeln, derselbe leicht zur Seite gelegte Kopf, dieselben Versuche, den Präsidenten herunterzuputzen wie einen ungehorsamen kleinen Jungen. Was ein Unterschied zu Obama.

Der Präsident ist wie ausgewechselt – und liefert den Auftritt, den seine Leute von ihm erwarten. „Er wirkt wütend“, sagt der Barmann anerkennend. Später, als Obama Romneys „47-Prozent“-Rede attackiert, in der sich der Herausforderer über „Opfer-“ und „Abhängigenmentalitäten“ mokiert hat, murmelt er: „Der Präsident hat eine Menge für Veteranen getan.“

Obama geht an diesem Abend in die Offensive. Er rechnet vor, dass Romney, der alle Steuern senken und gleichzeitig die Militärausgaben erhöhen und das Defizit senken will, ein mathematisches Problem hat. Er weist auch darauf hin, dass derselbe Romney, der im Fernsehen das moderate Publikum der Mitte sowie die Frauen und Latinos umwirbt, vor seiner eigenen Partei gegenteilige Dinge sagt.

Und vor allem verteidigt Obama dieses Mal persönlich seine Bilanz. Anstatt das wie zuvor anderen – darunter Bill Clinton und Vizepräsident Joe Biden – zu überlassen. Obama nennt seine Gesundheitsreform. Nennt das Prinzip „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit“. Nennt die Investitionen in grüne Technologien – wobei er Deutschland und China als positive Beispiele erwähnt. Und nennt die Tötung von Bin Laden, die im Wahlkampf ein Argument für die Demokraten geworden ist.

Die Fragen kommen dieses Mal aus dem Publikum. Susan Katz aus dem Bundesstaat New York stellt die kniffligste von allen. Sie will von Romney wissen, was „der größte Unterschied“ zwischen ihm und Expräsident George W. Bush ist. „Gute Frage“, ruft der Barmann über den Tresen. Romney windet sich. Es sei „eine andere Zeit“ sagt er. Und spricht statt von einem persönlichen Unterschied zu dem in Ungnade gefallenen Expräsidenten von globalen Veränderungen. Als erste nennt er diese: Nordamerika könne heute alle Energie selbst produzieren und sei nicht auf Ölimporte angewiesen. Als wollte er sagen: „Ich muss keinen Krieg wegen Öl führen.“

Peinlich wird es bei der Außenpolitik. Romney will ein Präsident werden, der sich „nicht für Amerika entschuldigt“. Gleich am ersten Amtstag will er Tacheles mit China reden: „wegen Währungsmanipulation“. Obama antwortet gelassen, seine Verwaltung habe zahlreiche Verfahren wegen unfairer Handelsmethoden geführt und alle gewonnen. Auch gegen China.

Dann schießt Romney ein Eigentor: Erneut wirft er Obama vor, die Sicherheitslage in Bengasi, Libyen falsch eingeschätzt zu haben. Erst eine Woche nach dem Mord an dem dortigen US-Botschafter habe der Präsident von einer „terroristischen Attacke“ gesprochen. Tatsächlich erwähnte Obama das Stichwort aber bereits am Morgen danach.

Der Barmann im Klamm’s Shell serviert Hamburger mit der Soße von grünen Chilis aus Pueblo. Als Romney Gott und seine Missionarszeit erwähnt, will er wissen, ob Religion und andere intime Fragen auch in Deutschland zentrale Themen im Wahlkampf seien.

„Romney hat dasselbe gesagt wie zwei Wochen zuvor“, atmet der Koch am Ende der Debatte erleichtert auf: „Und Obama hatte Zeit, sich vorzubereiten. Wenn er das tut, ist er gut.“