: Labernde Holzheinis
Im Jüdischen Museum wachsen Wunschbäume, an denen die stets gut gemeinten Wünsche von Besuchern hängen
Am Eingang zum Jüdischen Museum gibt es einen Sicherheitscheck. Wie am Flughafen müssen wir durch ein Piepstürchen gehen und werden anschließend mit einem Squashschläger abgescannt. Zuvor muss man sich ausziehen, also wenigstens die Jacke, die Schlüssel und das Kleingeld und alles in eine Plastikwanne legen, die dann auf einem Fließband durch einen Röntgenapparat fährt. Eben noch rechtzeitig fällt mir der abgebrochene Kreuzschlitzschraubenzieher in meiner Jackentasche ein. Ich entschließe mich zu einer Ehrlichkeitsoffensive und zeige das Werkzeug dem Wachmann: Ob das okay sei? Er fragt die Sicherheitschefin. Sie meint, das mache nichts. Die wird sich noch wundern – so hat das Nein/Ilewen auch angefangen.
Ich gebe meine Jacke an der Garderobe ab, zusammen mit dem Schraubenzieher. Im Jüdischen Museum stehen Bäume, die einem Fragen stellen. Der erste Baum steht am Eingang zur Dauerausstellung. Ein Wunschbaum. Wer will, kann seinen Wunsch auf ein rotes Blatt schreiben und dieses an einen Ast des Baumes binden. Dort hängen dann alle Wünsche. Da ich selbst keine habe, lese ich mir die der anderen durch: Der eine wünscht sich „Peace“, die nächste „Frieden“, der dritte „Pace“. Es wird und wird nicht spannender – ich glaube, die meisten denken, dass sich das hier einfach so gehört. Ein ehrlicher Franzose wünscht sich immerhin „une grande voiture“, eine verzweifelte Frau dagegen „ein Leben ohne Depressionen“.
Die Idee ist nicht schlecht. Ich finde, wir sollten überall aussagekräftige Bäume haben – man weiß sonst oft gar nicht, wozu die Holzheinis überhaupt gut sind. In Brandenburg gibt es das ja schon ansatzweise, da wünscht so mancher Alleebaum auf Tafeln, Kreuzen und Schildern „ewige Ruhe“ und, tja, natürlich den unvermeidlichen „Frieden“. Das ist wohl so eine Art Dauerbrenner unter den guten Ratschlägen von Bäumen. Es könnte doch auch Bäume geben, die einen nach dem Weg fragen, zum Wald oder zum Sägewerk oder gleich nach dem Sinn des Lebens.
Museen bieten oft eine Menge Denkanstöße. So erfahren wir, dass man im Mittelalter fahrenden Händlern unter Androhung der Todesstrafe ihre Haustürgeschäfte verbot. Leider hatte das Gesetz einen entscheidenden Haken, denn es war für die Juden bestimmt und nicht für Arcor-Mannesmann und folgte somit einer Logik aus Hass und Neid, anstatt einer aus Vernunft und ungestörtem Mittagsschlaf. Da könnte mir glatt der Kreuzschlitz in der Tasche aufgehen, aber der ist leider in der Garderobe.
Kurz vor Ende der Weimarer Republik und damit auch der Dauerausstellung werden wir erneut von einem impertinenten Baum zugelabert. Der Baum will wissen: „Was verstehen Sie unter Gleichberechtigung?“ Diesmal soll man die Antwort auf ein weißes Blatt schreiben und an den Baum hängen. Dort baumeln sie, die braven, schon in der Schule auswendig gelernten Worthülsen von „dass alle gleich sind“ bis „dass alle auch wirklich gleich sind“ und wiegen sich sanft im Wind des Gut-gemeint-ist-knapp-daneben. Kein Wort von Arcor-Mannesmann. Aber dann – ein Hoffnungsschimmer: „Was verstehen Sie unter Gleichberechtigung?“ – „Der Tod und kein Entrinnen!“ Aha, „ein Leben ohne Depressionen“ was here! Ist bestimmt schon mit der Ausstellung durch und längst wieder zu Hause. Allein. ULI HANNEMANN