Ja, pennen die denn?

Die Grünen werfen dem rot-roten Senat vor, unnütz auf Steuern zu verzichten. Zu Recht? Eine Steuer-Erklärung

Schön blöd, wenn sich ein Hochverschuldeter freiwillig Geld durch die Lappen gehen lässt, kritisieren die Grünen den Senat. Allein im Jahr 2004 habe das Land auf fast 1,1 Milliarden Euro offene Steuerforderungen „verzichtet“, rechnet Haushaltsexperte Oliver Schruoffeneger vor. „Angesichts der Haushaltslage kann sich das Land eine so hohe Ausfallquote nicht mehr leisten.“

Ja, pennen die denn, die Finanzämter? Tun sie nicht, meistens jedenfalls nicht. Denn „verzichtet“ ist im hochspannenden Gefüge der Steuermechanik nicht ganz das rechte Wort und eher dem Wahlkampf geschuldet. Die von Schruoffeneger kritisierte Summe besteht aus zwei Posten. Tatsächlich wurden 2004 Forderungen von 344 Millionen Euro „niedergeschlagen“, wie es im Behördenjargon heißt. Das Land übt Verzicht, weil bei manchen Leuten schlicht nichts zu holen ist, zum Beispiel bei armen, überschuldeten Haushalten in Neukölln. Bei kleinen Fehlbeträgen drücken die Ämter auch schon mal ein Auge zu, weil die Verfolgung, etwa das Aussenden von Beamten, teurer wäre als popelige 50 Euro, die ausstehen. „Derlei Forderungen sind aber nicht gelöscht. Wer wieder zu Geld kommt, muss nachzahlen“, betont Frank Pippig, Pressereferent der Finanzverwaltung.

Den größeren Batzen machen die so genannten „ausgesetzten“ Beträge aus, 2004 waren es 724 Millionen Euro. „Verzicht“ stimmt auch hier nicht, denn das Finanzamt streitet sich mit den Steuerzahlern über das Geld. Rechnet einem das private Steuerprogramm eine Schuld von 3.000 Euro aus, das Amt will aber das Doppelte, wandert der Fall notfalls bis vors Finanzgericht. Haben die Richter ernsthafte Zweifel an der Behördenfestsetzung, darf nicht eingezogen werden – der Betrag ist ausgesetzt. „Auch die Summen sind nicht verloren. Wenn das Gericht fürs Finanzamt entscheidet, kann es vollstrecken“, so Pippig.

Dies wird oft ein frommer Wunsch bleiben. Die Statistik weist aus, dass die echten Rückstände beträchtlich sind: Im Jahr 2004 fehlten 491 Millionen Euro in der Kasse. 2003 waren es 511 Millionen, 2002 noch 549 Millionen Euro. ULRICH SCHULTE