: Die Töpfe sind leer
Vor exakt einem halben Jahr warf die nationale Jury den Norden aus dem Rennen um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2010: Vielleicht wird’s Essen, vielleicht auch Görlitz. Aber gewiss nicht Lübeck, Bremen oder Braunschweig. An der Oker hat man trotzdem ein großes Loch gegraben, die Mittelvergabe zur Chefsache gemacht und Oberbürgermeister Gert Hoffmann schwärmt von der „großartigen Bewerbung“ und ihrer „dollen Resonanz“. Kulturschock? – Fehlanzeige. Oder etwa doch nicht?
von Michael Quasthoff
„Wissen ist die Basis jeder Kultur. Ich bin Kultur. Zu einem guten Stück aus Braunschweig“. Als man Rosetta Landers diese Worte in den Mund legte, hatte sie sich längst davongemacht. Übel nehmen darf man ihr das nicht. Rosetta Landers ist eine Raumsonde und Produkt des Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt. Heute haust sie hundert Millionen Kilometer entfernt auf dem Kometen „Churyumov-Gerasimenko 2014“. Ihr Abschiedsgruß ziert die Kulturhauptstadtbewerbung, die Braunschweig vor einem Jahr im Wissenschaftsministerium deponierte.
Das Druckwerk hat zwei Teile und ist insgesamt 186 Seiten dick. Hannoveranern dürfte der Inhalt bekannt vorkommen. Vom „Neuformulierung eines urbanen Lebensideals“ ist die Rede, von „Winds of Change“, vom „Dialog der Kulturen“, von einer „Kultur der Regionen“ und nicht zu vergessen von einem „Labor der Zukunft“, um endlich einmal „das Beste der Vergangenheit mit dem Notwendigen der Zukunft zu einer Art ‚Erinnerung an Morgen‘ (zu) verschmelzen“. Nebelkerzen von Tom Strombergscher EXPOniert- und Prächtigkeit.
Braunschweigs Stromberg heißt Stölzl, Christoph, Prof. Dr.; Ex-Museumsdirektor, Ex-Welt-Chefredakteur, Ex-Kultursenator in Berlin, Ex-CDU Landesvorsitzender und mittlerweile auch Ex-Kurator der Braunschweiger Kulturhauptstadt-Bewerbung. Unvergesslich sein Antrittsfoto in der Lokal-Zeitung. Es zeigt den Phrasenwerfer im Dreireiher auf einer Harley Davidson beim Inspizieren von „Kulturtankstellen an der B4“. Längst ist auch Stölzl - allerdings mit unbekannten Ziel – davongedüst. Und mit ihm die Hoffnung auf ein bisschen „jroße Welt“.
Wer am Hauptbahnhof die Straßenbahn Richtung Innenstadt besteigt, merkt schnell, wo Braunschweigs Ambitionen gelandet sind: in einer riesigen Baugrube. Das 4,5 Hektar große Loch zieht sich wie ein offene Wunde vom Bohlweg bis zum Rathaus und produziert neben Dreck, Lärm und bundesweit führenden Feinstaubwerten vor allem handfesten Streit. Für die einen wächst hinter hässlichen Pressspanplatten ein Mahnmal kommunalpolitischen Größenwahns, andere nennen das Objekt einen „kultureller Leuchtturm von nationalem Ausmaß“. Er belegt das Gelände des Schlossparkes, bis vor kurzem ein beliebtes Terrain für Flaneure und Turteltauben. Seit Beginn der Bauarbeiten hat sich die Brache zum Aufmarschgebiet verbitterter Demonstranten gemausert. „Dieser Park gehört uns“, dröhnt es regelmäßig, „ECE ade“ oder „Braunschweig: verraten und verkauft“.
Der Volkszorn richtet sich gegen Oberbürgermeister Gert Hoffmann. Er ließ 270 Bäume abholzen, um das Stadtbild durch das „Einkaufszentrum Schlosspark“ zu bereichern. Der sechsstöckige Trumm soll 130 Geschäfte, 20 Kneipen und ein Parkhaus beherbergen. Der Investor der Mega-Kaufhalle heißt Alexander Otto, Chef der ECE (KG Einkaufs-Center-Entwicklung mbH). Otto, dessen Firma Einkaufszentren in diversen Großstädten betreibt, will 200 Millionen Euro in das Projekt stecken. Dafür bekam er das städtische Filetstück quasi umsonst. Im Gegenzug dürfen die Braunschweigern einige Räume für kulturelle Zwecke anmieten (!). Dass dieser Kniefall vor dem Mammon nicht ohne Proteste über die Bühne gehen würde, ahnte OB Hoffmann. Deshalb beschloss er die 30 000 Unterschriften gegen den Abriss des Parkes souverän zu ignorieren und den Konsumtempel mit einer „Rekonstruktion der alten Schlossfassade“ zu tarnen.
Die Operation hievte er als Top-Projekt der Kulturhauptstadtbewerbung. Parkfreunde und Architekturkritiker schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, aber psychologisch war das kein schlechter Schachzug. Er wirkte, solange der Propagandafeldzug nach Europa „Glück, Glanz, Ruhm“ (Robert Gernhard) versprach. Braunschweig konnte es gebrauchen. Jahrelang dämmerte die Stadt im Abseits, „bedächtig, langsam und abwartend, jedem Überschwang abhold“ (Heinrich Mersmann). Man schämte sich ein bisschen, weil man den Österreicher Adolf Hitler eingebürgert hat, litt mit der Eintracht, die in der dritten Liga dümpelte, war ein bisschen stolz auf Dom, Schimmel-Pianos, Atomuhr und Vermeers „Mädchen mit dem Weinglas“ im Herzog Anton Ulrich Museum. Sommers flanierte der Braunschweiger übers Classix-Festival, winters strich er sich die berühmte Mettwurst auf die Stullen und war dankbar, wenn er – zum Bespiel in Gestalt der „Theaterformen“ – etwas vom Glanz der Landeshauptstadt abbekam.
So konnte es nicht weitergehen. Also komponierten die Rapper der „Jazzkantine“ eine Braunschweig-Hymne, Apotheker Bohlmann destillierte einen Kultur-Likör und die Banken spendierten 1,5 Millionen Euro für eine Werbekampagne. Sie gebar einen Löwenkopf, der die Ureinwohner zwei Jahre lang auf Pins, Buttons und T- Shirt durch die Einkaufszone trugen. Braunschweig sah aus, als werbe man für „Serengeti darf nicht sterben“.
Von der Euphorie ist nichts geblieben. Außer der Schlosspark-Grube, der Kunsthalle, einem Anbau für das Herzog Anton Ulrich Museum und Restbeständen des Kultur-Fusels. Wolfgang Gropper trägt es mit Fassung. Obwohl er auf „seine“ Musikhalle verzichten muss. „Eventkultur und Ensembletheater“, sagt der Intendant des Braunschweiger Staatstheaters, „das passt im Grunde nicht zusammen.“ Trotzdem sei die Kampagne eine „positive Erfahrung“ gewesen. In den so genannten „Montagsrunden“ hätten die Kulturschaffenden der Stadt erstmals zusammengesessen und diskutiert. Außerdem habe die Bewerbung unseren Ruf als Kulturstadt nachhaltig gefestigt. Und darauf legt Gropper Wert. „Schließlich gehen hier jedes Jahr mehr Leute ins Theater als Braunschweig Einwohner hat.“ Auch wenn das die ewig nörgelnden Hauptstadtkritiker gerne ignorieren. Aber der gemütliche Chiemgauer ist nicht nachtragend. Ihn plagen ganz andere Sorgen. Gerade hat Kulturminister Stratmann Groppers Hausetat um 360.000 Euro erleichtert. OB Hoffmann will um das Geld kämpfen. Schließlich „hat Kultur bei uns Vorrang“, weshalb im Reich des Christdemokraten trotz der Niederlage alles im grünen Bereich sei.
„Großartige Bewerbung“, „dolle Resonanz“, „Anspruch als eine europaweit bedeutende Kultur- und Wissenschaftslandschaft manifestartig formuliert“, „Emotionen geweckt“, „Image und weiche Faktoren gestärkt“, „Identität verbessert“, rattert es aus dem Amtsträger, ehe man eine Frage dazwischenschieben kann. Zum Beispiel, ob die Schließung des links-alternativen Kulturzentrums FBZ in das schöne Bild passe? Hoffmann guckt etwas indigniert. Dann rattert es wieder: „War marode“, „Renovierung zu teuer“. Außerdem setze man hier hier auf „Leuchttürme im nationalen Rang wie das Herzog Anton Ulrich Museum“. Oder die umkämpfte Schlossrekonstruktion? Auch das ist kein Problem für Hoffmann. „Damit sieht’s hier wenigstens nicht so langweilig aus wie in Weimar.“ Und überhaupt: „Die Kulturleute waren doch anfangs alle skeptisch, jetzt wissen sie wenigstens, was wir für Schätze haben.“
Zumindest wissen sie, was sie an Hoffmann haben. Gleich nach seinem Amtsantritt 2001 startet das ehemalige NPD-Mitglied die „Aktion sauberes Braunschweig“. Er lässt Arbeitslose Unkraut rupfen, werktätige Bürger verdonnert er zum Müllsammeln. Wer nicht spurt, zahlte Bußgelder. Auf ganz ähnliche Weise diszipliniert der OB die freien Sozial- und Kulturträger. Hoffmann strich nicht nur ihre Budgets radikal zusammen. Er revolutionierte auch das Förderprinzip. Als er dem Energiekonzern Veolia Environement die Stadtwerke (bs-energy) verkaufte, handelte er einen 1,2 Millionen-Obolus aus, der alljährlich Sport und Kultur zu Gute kommt.
Der Haken an der Sache ist nur, das Geld verteilt nicht etwa der eigentlich zuständige Kulturausschuss, sondern ein sechsköpfiges Gremium aus Konzern- und Ratsvertretern, dem Hoffmann vorsitzt. Darum verwundert es kaum, dass man wenig Kulturschaffende findet, die das Post-Bewerbungs-Klima in der Stadt anders einschätzen als der OB. Jedenfalls nicht, wenn man sie mit Namen zitieren möchte.
Das ist purer Überlebensinstinkt und wird vom System Hoffmann mit Gnadenbeweisen belohnt. Nach Gutsherrenart. Das Kulturzentrum Brunsviga, letzte Bastion der Gegenkultur, hat von den Bewerbungsgeldern nie einen Pfennig gesehen. Die avantgardistische Künstlergalerie „Konsumverein“ dagegen durfte sich 2004 am Begleitprogramm zur großen Rubens-Ausstellung beteiligen, nur um anderntags von der Stadt mit drastischen Mieterhöhungen an den Rand des Ruins getrieben zu werden.
Auch das stets klamme Lot-Theater verfügte plötzlich über Mittel für zwei Festivals. Chefin Ulrike Lorenz kommt mit Hoffmann „prima aus“. Volker Kufahl, der mit dem Braunschweiger Filmfest einen von Hoffmanns Leuchttürmen leitet, kann es sich leisten, die Vergabe der bs-energy Mittel „nicht gerade demokratisch“ und die Kulturstadtkampagne „zu tourismusorientiert“ zu nennen. Immerhin habe sie dafür gesorgt, „dass die Leute wissen, wo Braunschweig liegt“. Sein Etat für 2005/2006 ist gesichert. Doch Kufahl ist Realist. Ob das so bleibt, wenn ein Großprojekte wie die Kunsthalle kommt, „weiß ich nicht“.
„Vielleicht ist es ganz gut, dass wir den Zuschlag nicht bekommen haben“, lacht Hartmut El Kurdi. Der Schriftsteller ist bekennender Idylliker. „Manchmal isses hier zwar schlimm schnarchig, aber da ist man selbst gefordert und muss sich was ausdenken und dann wird wiederum ganz dialektisch die Kreativität gefördert.“ „Andererseits“, sagt El Kurdi, und das sei die Kehrseite der Medaille, „ist man durch die fehlende Ablenkung auch gezwungen, Absurditäten wahrzunehmen, die man lieber nicht zu nahe an sich ran lassen sollte.“ Spricht’s und muss dringend los. Demonstrieren an der Baugrube.