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Archiv-Artikel

Mit Grüßen vom roten Uropa

Ein ungleiches Paar: Der Tübinger Gärtnermeister Gerhard Bialas und der Verfassungsschutz könnten längst Diamantene Hochzeit feiern. Seit über 60 Jahren steht der DKPler nun schon unter staatlicher Beobachtung – seit dem Machtwechsel 2011 mit Billigung der Regierung Kretschmann

Katharina Mayer (Text) und Joachim E. Röttgers (Fotos)

Gerhard Bialas hackt mal wieder in seine alte Schreibmaschine. Ein neuer Brief an den grünen Ministerpräsidenten soll es werden. Den ersten habe Winfried Kretschmann wohl nicht erhalten. Wie sonst auch ist es zu erklären, dass der Briefschreiber die „immer gleichen Platten und Antworten“ vom Innenministerium bekommt? Man könnte jetzt meinen, der überzeugte Kommunist und unerschütterliche DKP-Mann glaube auch im hohen Alter von 81 an das Gute im Menschen. Ganz sicher aber treibt diesen Mann die Beharrlichkeit an die Schreibmaschine. Seit Jahren wehrt sich der ehemalige Tübinger Gemeinde- und Kreisrat gegen die Überwachung durch den Verfassungsschutz. Brief um Brief, Ministerpräsident um Ministerpräsident. Jetzt will er eine Antwort vom ehemaligen KBW-Mitglied Kretschmann. Gerhard Bialas lässt sich nicht so leicht abschütteln.

Vom Christenkind zum Kommunisten

„Kommen Sie mal mit rüber in meine berühmte Bude“, lacht Bialas, wenn man ihn zu Hause besucht, in seiner Wohnung im sechsten Stock mit einem herrlichen Blick über Tübingen. Die berühmte Bude ist jenes Arbeitszimmer, in dem schon Heerscharen von Kamerateams und Journalisten den überzeugten Kommunisten abgelichtet haben, drapiert zwischen Bücherwand und Lenin-Büste. Von denen hat er gleich zwei, auch Marx gibt es doppelt. Übrig geblieben seien die, aus Zeiten, in denen die Partei noch eigene Räume hatte in Tübingen. Aber das ist lange her.

Zwischen Bücherstapeln von Botanik über Imkerei bis zum dreibändigen blau gebundenen Klassiker stehen auch die Verfassungsschutzberichte der vergangenen Jahrzehnte. „Das Leben ist vielschichtig und interessant“, sagt Bialas, der Raum sei das Schaufenster seines Lebens.

Das begann 1931 im niederschlesischen Schweidnitz. Bialas wurde christlich erzogen, das lässt ihn heute noch schmunzeln. Von seinen Eltern habe er die Sache mit dem Kommunismus nicht, die seien eher deutschnational gewesen und hatten ein vom Vater gemaltes Hitler-Porträt in der Wohnung hängen. Als die Familie floh, blieb der „Führer“ im Keller unter Kohlen verscharrt zurück – den Winter sollte wenigstens das Bild noch überleben. „Das war so eine Entscheidung zwischen gestern und morgen“, sagt Bialas. Die Kriegserfahrung hat ihn geprägt. Erinnerungen an einen Trupp ausgemergelter KZ-Häftlinge, die von Deutschen mit Stahlruten und Hunden durchs Dorf getrieben wurden. Das Ausheben von Schützengräben als Pimpf in den letzten Kriegsmonaten. Die Toten in der Familie.

„Mir hat das wahnsinnig zu schaffen gemacht. Die große Frage für mich waren Ursache und Wirkung.“ Der liebe Gott kam als Verursacher für das große Elend nicht in Frage. Aber „Krupp und Hitler“.

Geschichte im Großen und im Kleinen

Sein Weg in den Kommunismus sei „eine sehr biografische Geschichte“, sagt Bialas. Auf die Flucht folgte die Gärtnerlehre. „Da war ein Mitlehrling dabei, der war irgendwie begeistert von diesem Mao.“ Ein kommunistischer Stadtrat half bei Lohnkämpfen. „Sympathisch“ fand Bialas das und verstand auf einer Versammlung über Truman-Doktrin und Marshall-Plan trotzdem „nur Bahnhof“.

Bialas steckt voller Geschichten und Anekdoten. Weltkrieg, Kalter Krieg, KPD-Verbot, Mauerfall: Für Bialas galten diese Ereignisse im Großen wie im Kleinen. „Diese komische Wende“ bedeutete für ihn das Ende der politischen Ordnung, wie er sie kannte: jener Trennung zwischen der kapitalistisch orientierten westlichen Welt und dem kommunistischen Osten. Nach dem Ende des real existierenden Sozialismus bröckelte auch der DKP die Basis weg. Trotzdem existieren die alten Feindbilder weiter. Für Bialas das kapitalistische System mitsamt seiner menschenverachtenden Verwertungslogik. Für den Gesetzgeber die Roten als Gefahr für den Rechtsstaat. Klare Fronten also, heute noch.

Bialas zog 1951 nach Tübingen. Dort ereilte ihn ein Strafbefehl über zwölf Mark, den er sich mit einem illegalen Grenzübertritt in den russischen Sektor zum Besuch der Weltjugendspiele in Berlin eingehandelt hatte: des Neu-KPDlers Bialas erster Kontakt mit den staatlichen Organen. „Eine tolle Zeit“ sei der Kampf gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht gewesen. „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“, war sein Credo. Und ist es bis heute geblieben.

Bei der politischen Kriminalpolizei und beim Abschirmdienst hat Bialas sich damals keine Freunde gemacht. „Die hab ich da schon auf dem Hals gehabt, gerade bei Demonstrationen.“ Schon damals hat er sich in Sachen Überwachung mit der Regierung angelegt. „Filbinger, Birzele, Teufel: die hatten mich alle schon auf dem Kieker.“ Nun der altbewährte Briefwechsel mit einem neuen Ministerpräsidenten. „Ich wollte ausprobieren, wie sich jetzt der Kretschmann anstellt mit seiner Regierung.“

Verdienstvoll, sagen die einen, Verfassungsfeind die anderen

Es war eine Enttäuschung. Nach vierzig Jahren Radikalenerlass, schrieb Bialas an den grünen Landesvater, bitte er darum, dass die Überwachung seiner Person endlich beendet werde. Zumal Bialas Verdienste in der Tübinger Kommunalpolitik unbestritten sind: Im Tübinger Gemeinderat saß er ununterbrochen dreißig Jahre und zwanzig im Kreistag. Der Botanische Garten der Universität wäre ohne den Gärtnermeister nicht das, was er heute ist. Über dem Bialas'schen Esstisch hängen, sauber gerahmt, Urkunden und Belobigungen vom Imkerverband, dem Deutschen Städtetag, der Landesregierung nebeneinander. Was also soll das Theater mit der Überwachung: „Da wird man gewürdigt und geehrt und dann weiter von den Verfassungstrüffelschweinen beschnüffelt.“

Vom grünen Ministerpräsidenten hat er keine Antwort bekommen. Stattdessen ein weiteres wohlgesetztes Schreiben aus dem Innenministerium. Mit altbekanntem Inhalt. Ein Ende der Beobachtung durch den Verfassungsschutz setze voraus, dass „die gesetzlichen Voraussetzungen aktuell nicht mehr vorliegen“. Das aber sei auch nach erneuter Prüfung unter Beteiligung des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht der Fall. Entscheidend sei, „ob Ihrerseits eine aktive Betätigung für verfassungsfeindliche Bestrebungen unterbleibt“. Im Klartext: Wenn Bialas aus der DKP austreten würde, wäre Schluss mit der Beobachtung. Für Bialas ist das keine Option: „Meine Mitgliedschaft in der DKP endet frühestens mit meinem Tod.“ Ein Satz, der so oft gesagt, geschrieben und gedruckt wurde, dass er als Mantra gelten könnte.

Immerhin ein Zugeständnis machen die Verfassungsschützer an Beobachtungsobjekte im Rentenalter: „Ihr Alter findet insoweit Berücksichtigung, als das Landesamt für Verfassungsschutz verpflichtet ist, bei Personen über 70 Jahren in kürzeren Abständen als bei jüngeren Personen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Beobachtung weiter vorliegen.“ Das übersetzt Bialas zwischen Apfelkuchen und Kaffee so: „Die gucken öfter mal nach, ob du schon gestorben oder plemplem bist.“

Bialas will Gerechtigkeit, die anderen ihr Recht

Bialas streitet weiter. Für eine Antwort aus dem Ministerium, die ihn zufriedenstellt. Für den Kommunismus. Für bezahlbare Wohnungen und Kindergartenplätzen. Gegen den „Grundwiderspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privatem Eigentum“.

„Ich werde nicht lockerlassen“, sagt er und wirft die Frage in den Raum, warum die KPD verboten ist und die DKP derartig überwacht werde, während „die Nazibanden weiter rumspringen können“.

Die ehemalige Tübinger Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scheerer (SPD) hat sich ebenso für ein Ende der Beobachtung eingesetzt wie der FDP-Mann Hagen Kluck. Der wünschte sich schon 1997 in einer Landtagsdebatte über den Etat des Innenministeriums „einen wirklichen Schlussstrich in Sachen Radikalenerlass“. Die Beobachtung eines Tübinger Gärtnermeisters, der „vielleicht immer noch von der Verwirklichung der Diktatur des Proletariats träumt, dessen einzige zersetzende Tätigkeit aber in der Befüllung seines Komposthaufens besteht“, sei überflüssig.

Ähnlich sieht das heute Uli Sckerl, Parlamentarischer Geschäftsführer und innenpolitischer Sprecher der Landtags-Grünen: „Die Beobachtung eines 81-jährigen Altkommunisten ist mit unseren Vorstellungen über eine neue grün-rote Innenpolitik in Baden-Württemberg nicht zu vereinbaren. Wir fordern von Innenminister Gall, alle Tätigkeiten des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen Herrn Bialas umgehend einzustellen.“ – „Welche Gefahr soll denn von ihm ausgehen?“, fragt Sckerl. Er will ein Ende der bisherigen Praxis: Die grün-rote Landesregierung soll den baden-württembergischen Radikalenerlasses aufheben. Vierzig Jahre nach dem Erlass sei es höchste Zeit, sich vom Kalten Krieg endgültig zu verabschieden.

Und der Verfassungsschutz? Gibt grundsätzlich keine Auskunft über Einzelpersonen. Nur so viel lässt er wissen: Unter „verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ seien „Verhaltensweisen von Personen und Organisationen zu verstehen, deren Ziel es ist, die obersten Werte und Prinzipien des Grundgesetzes, wie beispielsweise die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz oder auch freie Wahlen, außer Kraft zu setzen.“ Aha.

Aus dem Innenministerium meldet sich Sprecher Günter Loos. Mehr, als im Antwortbrief an Herrn Bialas stehe, „gibt es aus Sicht des Innenministeriums nicht zu verkünden“. Und was die „verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ angehe, so müsse Bialas als „bekennender Anhänger“ der DKP eben damit rechnen, dass Informationen über ihn gesammelt würden. Zum Beispiel Publiziertes. Da ist Bialas durchaus hilfsbereit. Schon vor Jahren bot er an, alles, was in der Lokalzeitung von und über ihn veröffentlicht wird, kostenlos an die Verfassungsschützer zu senden.

Der Tübinger wird nicht aufgeben. Kretschmann, sagt Bialas, komme nun ja in den nächsten Wahlkampf. „Irgendwann kriege ich Antworten.“ Jetzt hat er wieder in seine alte Schreibmaschine gehackt. Sein Brief an Winfried Kretschmann endet versöhnlich.„Es grüßt: Ihr roter Uropa aus dem Ländle, Gerhard Bialas.“