Propagandalektion für Waldorfschüler

Die Schülerin einer Waldorfschule lud NPD-Kader in den Politikunterricht; ihre Lehrerin tolerierte dies. Jetzt grübelt die Schulleitung über die Konsequenzen. Ein Auftrittsverbot für die NPD will auch die Bildungsbehörde nicht aussprechen

So nette Überraschungen erlebt die NPD selten in diesem Wahlkampf: Das Telefon klingelt, am Apparat ist eine Schülerin. Ob ein Vertreter der Partei wohl bereit wäre, ihrer zwölften Klasse der Freien Waldorfschule Treptow-Köpenick im Rahmen eines Unterrichtsprojekts zur Bundestagswahl seine Ansichten zu erläutern? Wie die Antwort lautete – man kann es sich denken. Während sich republikweit Politiker und Pädagogen mühen, rechtsextreme Wahlkämpfer und deren Propaganda wenigstens von den Schulhöfen fernzuhalten, passiert an einer Berliner Schule das Gegenteil. Man bittet die NPD hinein ins Klassenzimmer.

Vergangenen Donnerstag traten gleich zwei NPD-Nachwuchsrekrutierer vor die Waldorf-Klasse: eine Berliner Stützpunktleiterin der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) und der frühere Braunschweiger Waldorflehrer Andreas Molau, dessen Wechsel in die Chefredaktion des NPD-Blattes Deutsche Stimme im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht hatte.

Die Schulleitung erfuhr von der ungewöhnlichen Lehrstunde erst im Zuge der taz-Recherchen – und reagierte bestürzt. Die Aktion sei „nicht glücklich“ gelaufen, sagt der Geschäftsführer der Schule, Christopher Steinke. Die Lehrerin habe den Schülern erlaubt, für ein Unterrichtsprojekt zur Wahl auch Politiker einzuladen. Erst am Abend vorher habe sie mitbekommen, dass eine Arbeitsgruppe den Besuch der Rechtsextremen organisiert hatte. Die Pädagogin, bedauert Steinke, sei „blauäugig“ und „überfordert“ gewesen. Sie habe „sehr unbedacht“ gehandelt.

Inzwischen dürften Lehrerin wie Schüler zumindest ein plastisches Bild davon haben, wie rechtsextreme Propaganda funktioniert. Denn die NPD feierte die Schulvisite prompt als Beweis für ihren erfolgreichen „Kampf um die Jungwähler“ und jubilierte in einer Pressemitteilung: „Während die Schülerinnen und Schüler nichts Anrüchiges an den erarbeiteten NPD-Thesen finden konnten, bemühte sich die ganz offensichtlich PDS-nahe Lehrerin, die Klasse einzuschüchtern.“

Diese Darstellung, versichern die Zwölftklässler, sei „völlig verdreht“. In einer ausführlichen Stellungnahme distanzieren sie sich von der NPD-Programmatik. Fazit: „Wir sind keine potenziellen Nationaldemokraten.“

Die JN-Referentin hatte die Hoffnung nach ihrem Auftritt aber offensichtlich noch nicht ganz aufgegeben. Laut dem Schulgeschäftsführer versuchte sie gezielt, einen Schüler der Klasse anzuwerben – er könne sich gern melden, vielleicht könne man sich erneut treffen. Der Schüler habe daran aber nach eigenen Angaben kein Interesse.

Die rechtsextreme Lehrstunde in der Waldorfschule stellt Pädagogen vor die Frage: Wenn man gegen rechtsextreme Propaganda vor den Schulen mobilisiert, sollte man dann nicht auch NPD-Auftritte im Unterricht unterbinden?

Die Antwort der Berliner Bildungsbehörde lautet: Jein. Laut Schulgesetz dürften Schulen „kein Tummelplatz für Gegner von Demokratie und Toleranz“ sein, erklärt ein Sprecher von Bildungssenator Klaus Böger (SPD) auf Nachfrage. Allerdings sei es auch keine pädagogische Lösung, die NPD totzuschweigen – „gerade in Gebieten mit unterschwelliger Sympathie unter Jugendlichen“. Seine Forderung: Referenten dürften nur vom Lehrer und im Einvernehmen mit der Schulleitung eingeladen werden. Denn: „Die Auseinandersetzung mit der NPD kann zur Gratwanderung werden.“

Das hat auch das Kollegium der Waldorfschule in Treptow-Köpenick begriffen. Mit der Idee, Gäste künftig nur noch mit Erlaubnis der Schulleitung vor die Klasse zu lassen, kann sich die Mehrheit allerdings bisher nicht anfreunden.

Derzeit werde über den richtigen Umgang mit der NPD „intensiv diskutiert“, sagt Schulgeschäftsführer Steinke. Grundsätzlich wolle man zum selbstständigen Denken erziehen. Sollte die Schule da Vertreter erlaubter Parteien einfach ausschließen? „Andererseits muss man ja nicht zwangsläufig alles mitmachen, was erlaubt ist.“ Steinke klingt ziemlich ratlos. Die Sozialkundelehrerin sei in jedem Fall „total betröppelt, was sie da angerichtet hat“, versichert der Schulgeschäftsführer: „Sie wird persönlich ihre Lehre daraus ziehen.“ ASTRID GEISLER