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Archiv-Artikel

Erziehung zum Schleuderpreis

Ein-Euro-Jobs verdrängen Fachkräfte und drücken die Löhne, klagen Berufsverbände und Arbeitskollektive. Beispiele für den Missbrauch der Arbeitsgelegenheiten gibt es einige

VON GESA SCHÖLGENS

Berufsverbände und Gewerkschaften in Nordrhein-Westfalen befürchten eine massive Verdrängung von Fachkräften durch Ein-Euro-Jobs. Der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) beklagt, dass freiwerdende Stellen in Sozialberufen kontinuierlich mit Ein-Euro-Jobbern besetzt werden. Betroffen seien Stellen von Erziehern, Sozialpädagogen und Lehrern, so DBSH-Vorsitzende Hille Gosejacob-Rolf. Zudem sei durch die Ganztagsschulen der Bedarf an pädagogischen Kräften gestiegen. „Diese Stellen werden aber häufig durch qualifizierte Ein-Euro-Kräfte besetzt – also arbeitslose Lehrer und Sozialpädagogen“, so DBSH-Sprecher Wilfried Nodes.

Statt angemessene Mittel zur Verfügung zur stellen, drängten die Kostenträger die Einrichtungen dazu, Ein-Euro-Jobs zu schaffen. So sei etwa in Dortmund in betreuten Ganztagsschulen der Einsatz von 75 Ein-Euro-Jobbern als Schulsozialarbeiter geplant. Die Dortmunder ARGE und das Dortmunder Schulamt dementierten dieses Vorhaben auf Anfrage. Einem Bericht der WAZ zufolge will die Dortmunder Arbeitsagentur aber insgesamt 450 Arbeitsgelegenheiten an Dortmunder Schulen schaffen. Neben EDV-Kursen und Lernhilfen sollen die Ein-Euro-Jobber auch Sprachförderung leisten. Laut Arbeitsagentur verfügten viele arbeitslose Bewerber bereits über entsprechende Qualifikationen. „Das bedeutet, das Schulamt möchte die Stellen mit arbeitslosen Sozialarbeitern und Pädagogen besetzen“, sagt Nodis.

Flächendeckend würden Hilfskräfte bei privaten und gemeinnützigen Pflegediensten sowie in der Küche von Ganztagsschulen und Kindergärten arbeiten, bemängelte die DBSH weiter. In einem Kindergarten im Kreis Minden-Lübbecke würden als Küchenkräfte eingestellte Frauen in der Kinderbetreuung eingesetzt. „Dadurch wird der erste Arbeitsmarkt kaputt gemacht“, sagt Nodes. Außerdem, so der Vorwurf, suche die Arbeitsagentur gezielt nach qualifizierten Ein-Euro-Kräften, um pädagogische Fachkräfte zu ersetzen.

Die Bundesagentur für Arbeit bestreitet das. „Träger und Arbeitsagenturen entscheiden gemeinsam vor Ort, wie Stellen besetzt werden“, so Sprecher Werner Marquis. Dabei müsse darauf geachtet werden, dass die Arbeit wettbewerbsneutral sei. Einen Missbrauch in den Betrieben zu verhindern, sei schwierig, gestand der Sprecher. Natürlich würden qualifizierte Arbeitslose lieber Jobs annehmen, in denen sie ausgebildet sind. „Aber arbeitspolitisch macht das keinen Sinn“, so Marquis. Die Tätigkeiten dürften keine sozialversicherungspflichtigen Jobs gefährden.

Auch die Wohlfahrtsverbände teilen die Ansichten des Berufsverbandes nicht. „Mir ist eine solche Verdrängung von Fachkräften nicht bekannt“, sagt Nikolaus Immer, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW. Im Gegenteil seien die Verbände äußerst interessiert an Fachkräften. „Eine systematische Ersetzung ist nicht im Interesse der Einrichtungen“, so Immer. Bei kommunalen Trägern gebe es hingegen Fälle, die skeptisch betrachtet werden müssten, „gerade im Bereich der Kindergärten und Jugendhilfe.“

Mittlerweile beklagen auch unabhängige Arbeitskollektive wie die Sozialistische Selbsthilfe Köln (SKK), dass die Arbeitsagenturen Lohndumping betreiben. Die Kölner ARGE plane etwa, in Projekten des Kölner Möbelverbundes 120 Ein-Euro-Jobs zu schaffen. „Den Projekten entstehen für diese ArbeiterInnen keine Lohnkosten, sie bekommen sogar noch zusätzliche Gelder von der ARGE“, so die SKK in einer Stellungnahme. Die Löhne würden dadurch immer mehr gedrückt, die Arbeit immer billiger. Für die Arbeitskollektive könnte dies das Ende bedeuten, da sie ihr Geld ebenfalls mit Möbeltransporten und Entrümpelungen verdienen. „Mit dem zweiten Arbeitsmarkt werden ArbeiterInnen zweiter Klasse geschaffen, mit weniger Lohn, ohne Rechte“, so die SKK.

Der Berufsverband für soziale Arbeit fordert nun die Begrenzung der Ein-Euro-Jobs auf 250.000 statt auf die vom Bund geplante Zahl von 630.000. Zudem müssten in den Sozialberufen qualitative Standards definiert werden, etwa wie viele Fachkräfte für bestimmte Tätigkeiten eingesetzt werden.