Für Geld geben sie alles

MÜNZSCHLITZ Heute kann man in Berlin alles mögliche aus Automaten ziehen – Kippen und Kondome, Gebete und Gold. Den Anfang machte übrigens Schokolade – in den 1880ern

■ Standort: Im Fritzclub in Friedrichshain.

■ Angebot: Einweg-Schühchen in sechs verschiedenen Farben in den Größen 35 bis 42.

■ Preis: Sieben Euro pro Paar.

■ Extra: Eine Plastiktüte für die unbequemen Stilettos.

■ Zweck: Abhilfe bei abgebrochenen Absätzen oder schmerzenden Füßen in langen Partynächten.

■ Idee: Isabella Fendt, selbst Nachtschwärmerin und High-Heels-Fetischistin, erfand den Automaten im September 2010.

■ Gebrauchsanweisung: Schuhgröße und -farbe anhand der Zahlentastatur auswählen, Schläppchen über die gequälten Füße stülpen, High Heels im Plastikbeutel verstauen und an der Garderobe abgeben.

■ Funktionsweise: Funktioniert wie ein moderner Zigarettenautomat.

■ Nachfrage: Ballerina-to-go-Automaten gibt es mittlerweile in elf deutschen Städten. Im Fritzclub werden monatlich rund 20 bis 40 Schuhpaare gezogen.

ALLE TEXTE KERSTIN DEMBSKY

Rumpelnde Blechkisten, die Münzen fressen und ihre klebrig-süßen Kaugummikugeln trotzdem nicht ausspucken, sind von gestern. Berlins Automatenlandschaft glänzt heute mit Goldbarren, die auf das Drücken eines Touchscreens hin freigegeben werden. Doch sogar antike Zigarettenautomaten, die nur mit einem präzise ausgeführten Fußtritt funktionieren, sind nicht völlig verschwunden – sie wurden nur so umgebaut, dass statt der Glimmstängel Angelköder, Kekse oder Minikunstwerke aus ihren Schubladen gezogen werden können.

■ Standort: Vor dem Café Hofbäckerin im Kunsthof, Oranienburger Straße.

■ Angebot: Sechs Vanillekekse in Autoform.

■ Preis: 4 Euro.

■ Extra: Luftdicht verpackt in einem Schächtelchen mit Fernsehturm- und Reichstags-Motiv.

■ Zweck: Erste Hilfe, wenn noch schnell ein Geschenk hermuss.

■ Idee: Da „Hofbäckerin“ Beate Westphal auch als „Traumjobdetektivin“ ein Talentcafé leitet, kann sie ihre Bäckerei nicht täglich öffnen. „Oft gab es lange Gesichter, weil es zwar nach Keksen duftete, die Türen aber geschlossen waren“, sagt sie. Vor drei Jahren weihte sie deshalb den weltweit ersten Cookies-Automaten ein.

■ Gebrauchsanweisung: Münzen einwerfen und mit Gefühl rütteln.

■ Funktionsweise: Der rote Automat mit den zwei aufgemalten Kulleraugen beherbergte früher Zigaretten und ist daher zumindest für RaucherInnen leicht zu bedienen. Im Gegensatz zu den Zigaretten soll das Gebäck laut Aufschrift „mit Liebe“ gemacht sein.

■ Nachfrage: 25.000 Keksschachteln will Westphal bis 2014 mit dem Automaten verkaufen.

Woher rührt die Faszination für die Münzschlucker? Es scheint eine Mischung aus Pragmatismus und Spieltrieb zu sein, die den Normalverbraucher an die Geldschlitze treibt. Welch nützliche Innovation ist doch der Ballerina-to-go-Automat im Club, wenn die High Heels wieder mal höher als die Schmerzgrenze waren. Und bereitet es nicht kindliche Freude, Großmutters Abendgebet auf Knopfdruck hören zu können?

■ Standort: In Kneipen und Cafés, wie dem „Schraders“ in Wedding, und an Hauswänden in Neukölln, Friedrichshain und Prenzlauer Berg.

■ Angebot: Kunstwerke in Form von Holzschnitten, Aquarellen, Strichzeichnungen, Skulpturen, Lyrik oder Prosa in weißen zigarettenpackungartigen Schachteln.

■ Preis: Zwei Euro.

■ Extra: Ein Beipackzettel mit der Vita der KünstlerInnen und der Warnung vor Suchtgefahr.

■ Zweck: Die Droge Kunst soll das Rauchen ersetzen. Junge Leute sollen an Kunst herangeführt werden, die weder in Galerien noch in Ausstellungen gehen.

■ Idee: Lars Kaiser von der Potsdamer Agentur Kunsttick kaufte alte Zigarettenautomaten, bat Berliner und Brandenburger KünstlerInnen, ihnen einen neuen Anstrich zu verpassen und Miniaturarbeiten zu entwerfen. Der erste dauerhafte Kunstautomat wurde im Jahr 2006 in Potsdam aufgestellt.

■ Gebrauchsanweisung: Wie einen alten Zigarettenautomaten bedienen. Nur wird der Inhalt des Päckchens die RaucherInnen überraschen und die KunstliebhaberInnen erfreuen.

■ Funktionsweise: Jeder Automat, jedes Kunstwerk ist ein Unikat. Die Schachteln für die Kunstwerke werden in einer Behindertenwerkstatt der Diakonie in Potsdam geklebt. Jeder Automat garantiert eine große Vielfalt von KünstlerInnen und Kunstwerken. Die KünstlerInnen erhalten die Hälfte des Gewinns.

■ Nachfrage: Kunstautomaten gibt es mittlerweile in 19 deutschen Städten. Allein in Berlin sind 30 bis 40 von ihnen zu finden. Geschäftsführer Andreas Petzke von Kunsttick sagt, dass die Automaten gut angenommen werden. Statistiken über die Verkaufszahlen gebe es allerdings nicht.

Dabei sind die Automaten keineswegs eine Berliner Erfindung: Schon in der Antike verehrten die GriechInnen die Schicksalsgöttin Automatia, deren Name auch „sich selbst bewegende Maschine“ heißt. Sie sollen Tempeltüren entworfen haben, die sich wie von Gotteshand selbst öffneten, und Automaten, die sowohl Wein als auch nach Einwurf einer Münze Weihwasser spendeten.

In Deutschland und Berlin brach ab 1871 ein wahrer Erfindungseifer für Münzautomaten aus: Damals wurde ein einheitliches Münzrecht für das Kaiserreich eingeführt. Preise für Waren und Dienstleistungen waren damit konstant und Artikel in großen Mengen, gleicher Größe und Qualität verfügbar.

■ Standort: Vor dem Angelhaus Koss, Tegeler Straße, Wedding.

■ Angebot: Dose mit 35 Gramm Fliegenmaden.

■ Preis: 1 Euro.

■ Zweck: Klassischer Köder zum Friedfischfangen – erhältlich, auch wenn das Angelgeschäft geschlossen hat.

■ Idee: Vor über 30 Jahren stellte der Vater des heutigen Inhabers Alexander Koss den Automaten auf, da er am Wochenende oft von Spontan-AnglerInnen aus dem Haus geklingelt wurde.

■ Gebrauchsanweisung: Die Münze einwerfen und die Schublade mit dem Maden-Döschen ziehen.

■ Funktionsweise: Der Automat wird nur am Freitagabend befüllt. Die Tierchen bleiben nicht länger als ein Wochenende in der Maschine. Diese funktioniert ohne Elektronik, wie ein sehr alter Zigarettenautomat. Die Schächte wurden allerdings ausgewechselt, damit die runden Madendöschen reinpassen.

■ Nachfrage: Alexander Koss spricht von 20 bis 30 Dosen, die an schönen Wochenenden gezogen werden.

Der Kölner Schokoladenfabrikant Ludwig Stollwerck war der Erste, der in Deutschland 1887 eigene Münzautomaten mit Warenproben seiner Schokolade aufstellte. Dabei ging es noch eher um Werbung für das eigene Produkt. Bald setzte allerdings ein regelrechter Automatenboom ein, und alle möglichen Waren wurden fortan in den blechernen Kisten zum Verkauf angeboten: Nähnadeln, Zahnstocher, Pflaster, Brief- sowie Toilettenpapier.

■ Standort: In der Arminiusmarkthalle, Moabit.

■ Angebot: 300 Gebete aus den fünf Weltreligionen und kleineren Religionen und Glaubensrichtungen in 65 Sprachen. Der Automat kann auch als Rückzugsort für das eigene Gebet genutzt werden.

■ Preis: Wie im Gotteshaus sind die Gebete umsonst.

■ Zweck: Bietet PassantInnen Gelegenheit zur inneren Einkehr.

■ Idee: Die Idee kam dem Künstler Oliver Sturm schon 1999. Die Umsetzung samt der Gebetsrecherche dauerte neun Jahre. Die automatenhafte Erzeugung religiösen Gefühls hält Sturm für einen zeitgenössischen Gedanken.

■ Gebrauchsanweisung: Wie bei einem Passbild-Automaten die Kabine betreten und sich durch Zuziehen des Vorhangs von der Außenwelt isolieren. Über den Touchscreen das Gebet auswählen.

■ Funktionsweise: Die aufgenommenen Gebete wurden von Gläubigen gesprochen und in Gottesdiensten, Andachtsräumen und Wohnungen gesammelt.

■ Nachfrage: Laut Christoph Hinderfeld von der Arminiusmarkthalle wird der Gebetomat rege genutzt.

Parfüm für zehn Pfennig

■ Standort: Galeries Lafayette, Friedrichstraße.

■ Angebot: Gold in Form von Barren (2,5 bis 250 g) und Münzen.

■ Preis: Echtzeit-Preise.

■ Extra: Eine Geschenkbox.

■ Zweck: Als besonderes Mitbringsel oder sichere Geldanlage.

■ Idee: Das deutsche Unternehmen Ex Oriente Lux AG (EOL) aus Reutlingen stellte den ersten Goldautomaten in Abu Dhabi auf. Nach Berlin kam das Luxusgerät 2010.

■ Gebrauchsanweisung: Auf einem Touchscreen zwischen zehn Produkten auswählen und entweder bar oder mit Karte bezahlen. Bei Störungen kann über einen „Notrufknopf“ jederzeit Kontakt zum Betreiber hergestellt werden.

■ Funktionsweise: Der Automatenvorraum und der Warenausgabeschacht werden videoüberwacht. Die Preise werden im 1-Minuten-Takt auf Basis der aktuellen Gold-Spot-Preise aktualisiert. Die Geld-zurück-Garantie gilt zehn Tage lang.

■ Nachfrage: Goldautomaten gibt es weltweit in sieben verschiedenen Ländern. Laut EOL haben bislang rund 47.000 KundInnen mehr als 20 Millionen Euro in das Automatengold investiert.

Schon damals waren die ausgefallensten Automaten zuerst in der Kulturstadt Berlin zu finden. Zusammen mit dem Pariser Parfümeur Philippe Leoni stellte Stollwerck einen Parfümautomaten in Steglitz auf. So konnte sich jede und jeder für zehn Pfennig mit einem der ausgewählten Düfte – Eau de Cologne, Teerose, Vanadia und Alt Lavendel – besprühen lassen. Die Berliner Zeitung Der Komet lobte 1885 auch sprechende Automaten.

Seither verwandeln die automatischen Verkäufer die eingeworfenen Münzen direkt in Waren oder Dienstleistungen. Marx nannte es Fetisch, wenn die menschliche Arbeit hinter den Produkten verschleiert wird. Andere nennen es schnelle Hilfe für hungrige Mägen und drangsalierte Füße oder einfach eine schlaue Geschäftsidee. Automaten befriedigen vielfältige Bedürfnisse, über deren Relevanz sich streiten lässt. Werden sie kreativ genutzt, sind sie aber dennoch einen Blick wert.