DIE AUSSENPOLITIK IST DAS VERGESSENE THEMA IN DIESEM WAHLKAMPF : Bauchspiegelung auf Inseldeutschland
Wenn man Fernsehdebatten nicht nur unter dem inszenatorischen Gesichtspunkt betrachtet, sondern sie auch als Informationsangebot sieht, dann konnte man in den letzten Wochen viel über dieses Land und seine Spitzenpolitiker erfahren. Zum Beispiel: 15 Jahre nach der Vereinigung ist Deutschland nach wie vor ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Außenpolitik? Findet nicht statt.
Über die Folgen der Globalisierung wurde bislang – wenn überhaupt – geredet, als handele sich dabei um einen Tsunami. Der sich bekanntlich nicht steuern lässt. Im Duell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel schrumpften die internationalen Themen auf die Frage einer möglichen EU-Vollmitgliedschaft der Türkei zusammen. Beim Streitgespräch zwischen Joschka Fischer, Guido Westerwelle und Oskar Lafontaine kam Außenpolitik gar nicht vor. Man muss nicht einmal gespannt sein, welche Rolle sie heute beim Elefantenkampf in der ARD spielen wird. Man weiß es.
UNO-Reform? Ständige deutsche Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat? Transatlantische Beziehungen? Europäische Verfassung? Harmonisierung der Steuerpolitik? Ausländische Militäreinsätze? Die Iranpolitik? Das Waffenembargo gegen China? Alles egal. Es ist wahr: Keines dieser Themen wird die Wahl entscheiden. Aber das gilt auch für Windenergie und Kindertagesstätten. Trotzdem wird beides wichtiger genommen als die Beziehungen der Bundesrepublik zum Rest der Welt.
Wenn eine Partei keine Steuerexperten hat, gilt das als großes Manko. Wenn sie keine Außenpolitiker hat, dann fällt das nicht einmal auf. Peer Steinbrück wird derzeit als Vizekanzler einer großen Koalition gehandelt. Edmund Stoiber ist als möglicher nächster Außenminister noch nicht ganz aus dem Rennen. Wolfgang Gerhardt hält sich bereit. Was alle gemeinsam haben: Ihre außenpolitische Erfahrung tendiert gegen null. Und wen sehen die Grünen als Nachfolger von Joschka Fischer? Deutschland scheint derzeit eine Mittelmacht zu sein, die sich auf die Insel sehnt. Das ist ziemlich trostlos. Auch im Blick auf die viel beschworene internationale Konkurrenzfähigkeit. BETTINA GAUS