ZWISCHEN DEN RILLEN
: Probleme beim Einsortieren

Pit Przygodda: „Lied“ (Solaris Empire/Broken Silence)

Man meint bei Pit Przygodda gelegentlich den Atem der Kinks herauszuhören

Wo sortiert man eigentlich Pit Przygodda ein? Im Plattenregal unter „P“ wäre naheliegend, falls man die Alben alphabetisch denn geordnet hat. Wobei, dort müsste er dann weit hinten stehen. „H“ kommt vorher, ist ja Hamburger Schule, irgendwie. Denn Przygodda war jahrelang Kopf und Texter der ein Geheimtippdasein fristenden, nicht unklugen und unlauten Hannoveraner Combo Go Plus, die es auf drei Alben beim Berliner Indie-Label Kitty-Yo brachte.

Es folgte der Umzug nach Hamburg, die Soundtrackcompilation „Schein an“ (2004) und zuletzt sein Meisterwerk, das Instrumentalalbum „Pitsound“ (2008). Mit „S“ macht man generell nichts falsch, weil es sich bei dem neuen Werk Przygoddas um ein Soloalbum handelt. Okay, zwei Go-Plus-Gründungsmitglieder sind im Bandanhang „Und Du“ dabei. Geht also wieder nicht richtig. Kommt für Pit Przygodda in den hölzernen Ikea-Charts also nur das „L“ infrage. Denn „Lied“ heißt sein kreativer Neustart in diesem Spätherbst. Praktischerweise reüssiert der studierte Experimentalfilmer als „Lieder“-Macher im Wortsinn.

Der Auftaktsong „Kornkreise“ verspricht das zumindest – inhaltlich und musikalisch. Verwunschen erzählt da einer von den „geometrischen Figuren“, die der herbstliche Ährenverbund für den Betrachter bereithält, und stellt umgehend die Sinnfrage. Während sanfte rhythmische Pianotupfer kleine Windschübe imitieren, wird es dann existenzphilosophisch: „Wo geht meine Seele hin, wenn ich tot bin / Dass sind doch auch Schwingungen, die räsonieren / Energie kann nicht verloren gehn“.

Damit steckt man gleich beim Auftakt von „Lied“ mitten im Ambivalenten, das sich auf alle zehn Songminiaturen ausdehnt. Musikalisch ist an dem Album wenig auszusetzen, denn der ehemalige Cpt.-Kirk-Musiker und renommierte Produzent Tobias Levin hat gebotene Vorsicht walten lassen. Delikat, luftig, aber nie zu locker setzt er Przygodda in Szene. Auf der Basis von Harmonieelementen aus der Soundästhetik der sechziger und siebziger Jahre – man meint gelegentlich den Atem der Kinks herauszuhören – weht ein melancholischer „Pit-Pop-Sound“. Da dürfen beim titelgebenden Finale Harmonium, Bläser und eine an die Bossa Nova gemahnende Gitarre anklingen und ineinander vibrieren: „Melodie, erheb dich / Wende dieses Blatt“. Auch ein Synthesizer lotet hier und da Höhen und Tiefen aus – „Schweres Schiff“.

Schmaler Grat

Weil es neben der Musik bei einem Hamburger Alltagspoeten fast schon zwangsläufig um deutsche Songtexte geht, steckt man alsbald in einem Dilemma. „Persönliches“ verspricht „Lied“; an sich ist das erst mal nichts Schlimmes. Doch der Grad, den Przygodda beschreitet, ist ein schmaler. Schaut er mit der Beziehungsszene „Ich komm wieder“ als skurrile Type um die Ecke („Wenn ich dann auch wieder stark bin / morgen oder in fünf Jahren / Machen wir doch da mal weiter / wo ich damals ging“), landet er mit dem eine Spur zu kitschigen Song „Für Dich“ knapp neben dem Schlagergefilde: „Weil ich weiß, Hitze ist in unserem Blut / unter der Erde liegt die Glut.“ Dazwischen gibt es nervig pastorale Momente zwischen Vater und Sohn („Liebe zwischen uns“) und ein nettes Kinderlied („Schweres Schiff“).

Einen gigantischen, einsam-schönen Chanson-Moment hat das Album aber auch. „Die Busspur ist mein Bürgersteig / Ich sehe niemand ins Gesicht / Ich sprech mit niemandem ein Wort“, heißt es in „Allein in dieser Stadt“. Man sieht, die Ambivalenzen versagen das Einordnen.

Pit Przygoddas „Lieder“, um zur Ausgangsfrage zurückzukommen, sind vorerst in der Sektion „B“ wie Badewanne am besten aufgehoben – wahlweise an einem kalten Tag im November. Wird es zu hippiemäßig, geht man auf Tauchstation und kann sich später beim Plantschen über die vorhandenen Phasen gelungenen Songwritertums freuen. Danach werden die mal absurden, mal berührenden Miniaturen im Regal ein letztes Mal wandern und unter „G“ heimisch – G wie trotz allem gelungen.

JAN SCHEPER