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Archiv-Artikel

Städte geizen mit ihren Schulbüchern

Die Stadt Bonn lehnt es ab, für Kinder von ALG-II-Empfängern die Schulbücher zu bezahlen – weil angeblich kein Geld da ist. Andere Kommunen in NRW sind großzügiger, obwohl sie in der Haushaltssicherung stecken

KÖLN taz ■ Schüler müssen in NRW unterschiedlich viel zu ihren Schulbüchern beisteuern: Die Kommunen entscheiden selbst, ob sie Hartz-IV-Empfängern die Lernmaterialien stellen oder nicht. Aktuelles Beispiel ist die Stadt Bonn. Rund 43.000 Euro hätte sie aufbringen müssen, um allen Kindern von Arbeitslosengeld-II-Empfängern die Schulbücher zu bezahlen. Doch ein entsprechender Antrag der Grünen wurde vergangenen Mittwoch im Sozialausschuss abgelehnt. „Es ist kein Geld da“, erklärt die SPD-Ausschussvorsitzende Barbara Ingenkamp.

Für den grünen Bonner Ratspolitiker Helmuth Göbel ist diese Haltung „ausgerechnet im Bereich von Bildung grotesk“. Mit der Entscheidung lasse man „gerade die SchülerInnen, die ohnehin in einem finanziell extrem schwierigen Umfeld leben müssen, im Regen stehen“. In der Tat haben auch die neue Landesregierung und die kommunalen Spitzenverbände in NRW festgestellt, dass Kinder von ALG-II-Empfängern benachteiligt werden. Laut dem von Rot-Grün im Januar verabschiedeten neuen Schulgesetz sind nämlich nur noch Bezieher von Sozialgeld nach dem Sozialgesetzbuch XII, also nicht-erwerbsfähige Menschen, von der Zuzahlung zu Lernmitteln befreit. Übergangsweise gilt dies auch für Kinder von ALG-II-Empfängern, die vorher in der Sozialhilfe waren und schon im letzten Schuljahr eine Befreiung hatten. Andere ALG-II-Bezieher müssen dagegen wie alle Eltern einen Teil der Bücherkosten selbst zahlen: zwischen 18 und 38 Euro pro Jahr.

„Das schafft natürlich Unfrieden“, sagt Bernd Jürgen Schneider, Hauptgeschäftsführer des NRW Städte- und Gemeindebunds. Bis zum nächsten Schuljahr will Schulministerin Barbara Sommer (CDU) alle ALG-II-Bezieher von den Ausgaben für Lernmittel befreien. Das bestätigte Sommers Sprecher Oliver Mohr der taz. Bis dahin haben Regierung und kommunale Spitzenverbände den Kommunen empfohlen, „nach individuellen Lösungen zu suchen“, erklärt Schneider.

Genau das haben manche Städte getan: In Herne, Dortmund und Bochum etwa übernehmen die Kommunen die vollen Bücherkosten für alle ALG-II-Kinder. Dabei stecken die drei Städte im Haushaltssicherungskonzept, können sich solche „freiwilligen Leistungen“ also eigentlich nicht leisten. Trotzdem macht Dortmund rund 150.000 Euro locker. Man sei sich einig, „dass keinem Kind aus finanziellen Gründen ein Schulbuch fehlen darf“, schrieb Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) den Ratsfraktionen im August. Allerdings erwarte er vom Land „die volle Kostenerstattung“, sobald die Regierung eine neue Regelung gefunden habe.

Auch Bochum zahlt die Schulbücher. Obwohl die Stadt im Nothaushalt steckt, weil die Bezirksregierung den Haushalt 2005 nicht genehmigt hat, bringt die Verwaltung die geschätzten Kosten von rund 90.000 Euro für die Schulbücher auf: durch schlichte Umschichtung im Schulbudget. Und in Münster hat sich die CDU erst vergangene Woche entschlossen, einen Ratsantrag zur Kostenübernahme zu stellen. Noch im Juni war ein entsprechender Antrag der Grünen abgelehnt worden. Aber inzwischen finden auch die Münsteraner Konservativen die derzeitige Gesetzeslage „sehr ungerecht“, wie Geschäftsführer Veit Christoph Becker erklärt.

Die Bonner Grünen wollen diese Beispiele ihren Kollegen in der nächsten Ratssitzung unter die Nase reiben. Wenn die anderen Städte das können, meint Göbel, dann „sollte Bonn, das für sich in Anspruch nimmt eine soziale Großstadt zu sein, nicht zurückstehen“. SUSANNE GANNOTT