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Archiv-Artikel

„Verdacht auf Kriegsverbrechen“

AFGHANISTAN Strafrechtler Kai Ambos fordert ein Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein, der den Tod von Zivilisten verursacht hat. Die Tanklaster hätten keine Gefahr dargestellt

Kai Ambos

Der 44-Jährige ist Professor für deutsches und internationales Strafrecht an der Universität Göttingen.

INTERVIEW CHRISTIAN RATH

taz: Herr Ambos, setzt die Annahme eines Kriegsverbrechens einen Krieg voraus?

Kai Ambos: Nein, der Begriff ist missverständlich. Voraussetzung ist heute nicht mehr ein Krieg zwischen zwei Staaten, vielmehr genügt für ein Kriegsverbrechen bereits seit Jahrzehnten ein „bewaffneter Konflikt“.

Stellt die Situation in Afghanistan einen bewaffneten Konflikt dar?

Das kann wohl niemand ernsthaft bestreiten.

Die Bundeswehr hat bisher den Begriff „bewaffneter Konflikt“ vermieden …

Der Sprachgebrauch der Beteiligten ist irrelevant. Völker- und strafrechtlich wird die Lage nach objektiven Kriterien bewertet. Im Übrigen ist es sogar günstig für die Bundeswehr, wenn die Lage in Afghanistan als bewaffneter Konflikt eingestuft wird. Sonst dürften die Soldaten – außerhalb von Notwehrlagen – gar keine gegnerischen Kämpfer wie Taliban töten und müssten schon deshalb mit strafrechtlichen Ermittlungen rechnen und nicht erst, wenn Zivilisten umkommen.

Der deutsche Oberst Klein hat in Afganistan die Bombardierung von zwei Tanklastern befohlen, die von den Taliban entführt worden waren. Bei dem Bombardement kamen auch Dutzende Zivilisten zu Tode. An welchem Maßstab ist sein Verhalten zu messen?

Strafrechtlicher Maßstab ist vor allem das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, das 2002 in Kraft getreten ist. Dort ist als Kriegsverbrechen auch der Einsatz unverhältnismäßiger militärischer Gewalt unter Strafe gestellt. Wenn dabei Menschen zu Tode kommen, droht eine Strafe nicht unter fünf Jahren.

Was ist hier konkret zu prüfen?

Ein militärischer Angriff darf nicht durchgeführt werden, wenn als sicher erwartet wird, dass dabei Zivilpersonen in einem Ausmaß geschädigt werden, das außer Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil steht.

War mit der Bombardierung der entführten Tanklaster ein großer militärischer Vorteil zu erwarten?

Auf den ersten Blick wohl kaum. Soweit bekannt, steckten die Tanklaster ja im Fluss fest. Zum Zeitpunkt der Bombardierung stellten sie also keine konkrete Gefahr dar.

Unter den Getöteten waren neben Taliban-Kämpfern auch Bauern der umliegenden Dörfer. Gelten diese auch dann als Zivilpersonen, falls sie mit den Taliban sympathisiert haben?

Auf ihre Gesinnung kommt es nicht an. Auf Seiten der Taliban dürfen nur De-facto-Kombattanten, also bewaffnete Kämpfer, angegriffen und getötet werden. Bauern, die nur neugierig herumstehen oder Benzin zapfen, sind keine bewaffneten Kämpfer und gelten deshalb als geschützte Zivilpersonen.

Die afghanische Quelle, die Oberst Klein vor seinem Be- fehl den Schauplatz schilderte, sagte, es seien nur „regierungsfeindliche Kräfte“ zu sehen …

Auf die Einstellung der Bauern zur Regierung kommt es nicht an. Hier hätte Oberst Klein unbedingt zurückfragen müssen, wie das Verhältnis von bewaffneten Kämpfern und unbewaffneten Zivilisten war. Als Kommandeur darf er nicht nur an das Wohl seiner Soldaten denken, völkerrechtlich ist er auch Garant für Leib und Leben der betroffenen Zivilbevölkerung.

Wenn sich also ergibt, dass der geringe militärische Nutzen die vielen zivilen Todesopfer nicht rechtfertigen kann, muss Oberst Klein dann ins Gefängnis?

Strafbar wäre sein Verhalten nur, wenn er das Missverhältnis im Zeitpunkt des Befehls sicher erwartet hat. Das wird ihm aber nur schwer nachzuweisen sein.

Im jetzt vorgelegten Nato-Untersuchungsbericht soll es heißen, dass Oberst Klein die Bombardierung eigenmächtig angeordnet hat …

Für die Strafbarkeit als Kriegsverbrechen kommt es auf einen solchen Verstoß gegen die Einsatzregeln nicht an.

„Oberst Klein könnte ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof werden“

Derzeit prüft die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden, ob gegen Oberst Klein ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Was empfehlen Sie?

Ein Ermittlungsverfahren halte ich für dringend erforderlich. Wenn – wie hier – der Anfangsverdacht eines Kriegsverbrechens besteht, muss der Vorgang gründlich geprüft werden. Zuständig ist allerdings die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Warum?

Weil der Gesetzgeber für das Völkerstrafgesetzbuch aus guten Gründen diese Sonderzuständigkeit angeordnet hat.

Realistisch ist angesichts des politischen Drucks derzeit aber eher, dass es gar kein Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein gibt …

Das würde unser internationales Ansehen sehr beschädigen. Wie sollen wir denn glaubwürdig weiter für die Verfolgung internationaler Verbrechen eintreten, falls gleich beim ersten Mal, wenn deutsche Soldaten in den Verdacht von Kriegsverbrechen geraten, alles unter den Teppich gekehrt wird?

Wie könnte die internationale Gemeinschaft reagieren, wenn es keine Ermittlungen in Deutschland gibt?

Sollte sich die deutsche Justiz als unwillig erweisen, das deutsche Völkerstrafgesetzbuch anzuwenden, müsste Oberst Klein ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag werden. Der dortige Ankläger Luis Moreno-Ocampo könnte den Fall von sich aus aufgreifen. Außerdem bin ich mir sicher, dass entsprechende Strafanzeigen schon vorbereitet werden.

Eine längere Fassung dieses Interview steht auf www.taz.de