: „Freunde? Nein“
INTERVIEW BASCHA MIKA UND CHRISTIAN FÜLLER
taz: Frau Bulmahn, Sie haben Ihre Reden stets mit der Wendung begonnen: „Meine Herren und Damen“. Worauf wollen Sie damit hinaus?
Edelgard Bulmahn: Die Leute sollen merken: Da vorne steht jetzt eine Frau.
Versteht das irgendjemand?
Manchmal zuckt es bei den Zuhörern. So ist es auch gedacht, als eine leichte feministische Irritation. Manche beginnen dann tatsächlich nachzudenken.
Die Presse war nicht immer freundlich zu Ihnen. Man hat Sie als fleißiges Bienchen verhöhnt, der eine oder andere Landesminister hat Ihnen öffentlich Zickigkeit unterstellt.
Das sind Charakterisierungen, die vermeintlich typisch Weibliches benutzen, um subtil Stimmung zu machen. Einen Mann würden Attribute wie fleißig oder willensstark auszeichnen – bei einer Frau sind sie ganz leicht ins Negative zu wenden. Mir wird gelegentlich vorgehalten, ich sei starrköpfig. Bei einem Mann hieße dieselbe Eigenschaft: Durchsetzungsstärke. Das sind die feinen Unterschiede.
Und solche Schmähungen stecken Sie weg?
Das gelingt nicht immer. Was mich zum Beispiel aufwühlt, ist der ständige Hinweis auf die Berufe meiner Eltern. Es scheint offenbar nicht akzeptabel zu sein, dass die Tochter eines Binnenschiffers und einer Friseurin Ministerin werden konnte.
Weil es suggeriert: Eine Friseurstochter kann nicht kompetent über Forschung reden?
Ja, so etwas schmerzt. Es zeigt mir aber zugleich, wie wichtig es ist, diesen Weg gegangen zu sein, und ich bin ja nicht die Einzige im Kabinett. Der Bundeskanzler hat eine ähnliche Biografie. Dieses Kabinett weiß, wie wichtig es ist, dass Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft Aufstiegschancen bekommen. Und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondern real. Das hilft mir, auch Beleidigungen wegzustecken.
Gerhard Schröder hat, aus ärmlichen Verhältnissen kommend, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt. Ihre Eltern wollten Sie statt zum Gymnasium auf eine Handelsschule schicken …
Ich habe mit 14 zu meinen Eltern gesagt: Lasst es mich auf dem Gymnasium versuchen. So habe ich als Erste aus meinem Dorf eine höhere Schule besucht.
Hat diese Parallele zu einem besonderen Verhältnis zu Gerhard Schröder geführt?
(lacht) In der SPD haben wir viele, die diesen Weg gegangen sind. Das führt zu einem gemeinsamen Grundverständnis. Aber es führt deshalb zu keiner besonderen Nähe zu Gerhard Schröder.
Also kein augenzwinkerndes Einverständnis bei bestimmten Themen, keine Freundschaft?
In der Politik ist nicht die Frage entscheidend, ob man sich mag oder nicht mag. Ich teile mit dem Kanzler die Haltung, dass Herkunft nicht entscheiden darf über Zukunft. Dass Menschen eine zweite und eine dritte Chance verdient haben. Aber Freundschaft in der Politik? Nein.
Wie man hört, hat sich Schröder gern die Frauen im Kabinett vorgeknöpft, wenn er schlechte Laune hatte.
Gerhard Schröder würde selbst sagen, er habe dazugelernt. Und das ist auch richtig.
Das heißt: Früher hat er's gemacht. Und heute nicht mehr ganz so oft?
Er hat dazugelernt.
Wer hat ihm dabei geholfen?
Seine eigene Frau hat da viel bewirkt. Und wir Frauen im Kabinett selbstverständlich auch.
Sie und Ihre Ministerkolleginnen haben kürzlich eine hymnische frauenpolitische Bilanz gezogen. Für die Öffentlichkeit gab es aber nur zwei wichtige Figuren: die beiden Kerle, Schröder und Fischer.
Politik lässt sich doch nicht daran messen, wer die größte Aufmerksamkeit bekommt. Es geht darum, ob man wirklich gestaltet und verändert. Das ist uns Frauen gelungen.
Aha.
Diese Regierung hat es geschafft, Familien und Frauen in der Bundespolitik wieder Gewicht zu verschaffen. Auch Kinder, Bildung und Erziehung haben heute einen enormen Stellenwert. Das war bei keiner anderen Regierung so, da waren Frauen und Familie stets Randthemen.
Wenn Politik für Frauen gemacht wurde – wir reden nicht von Familienpolitik –, verlief das stets unauffällig. Sichtbares, wie das Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft zum Beispiel, hat es kaum gegeben. Auch das laut grünem Programm abzuschaffende Ehegattensplitting gibt es immer noch.
Beides hätte sicher hohe Symbolwirkung gehabt. Was wir erreicht haben, betrifft aber viel unmittelbarer die Lebensrealität von Frauen. Ein Beispiel: Kommt es zu Gewalt in der Ehe, dann muss heute nicht mehr die Frau ausziehen und sich in einem Frauenhaus in Sicherheit zu bringen. Sondern der Mann muss gehen, er muss die Wohnung verlassen.
Sie wissen, dass sich die gesetzliche Lage von der Wirklichkeit bedrohter Frauen häufig unterscheidet.
Dennoch verbessert das Gewaltschutzgesetz enorm die Stellung jener Frauen, die sich in vorhandenen oder sich entwickelnden Situation der Unterdrückung befinden.
Zurück ins Kabinett: Was Sie über die Erfolge der Frauen berichten, klingt nach einem altbekannten Rollenmuster: Die Frau bestimmt in der Familie, organisiert den Haushalt, beeinflusst ihren Mann …
… aber sie darf es nach außen nicht zeigen, weil er sonst bloßgestellt wäre.
So ist das im rot-grünen Kabinett. Sie machen die Arbeit im Hintergrund – die Männer machen das große Trara.
Das würden unsere Männer im Kabinett ganz anders sehen. Nehmen Sie die Haushaltsverhandlungen, die sind die Nagelprobe. Da haben wir viel erreicht, denken Sie nur an die 4 Milliarden Euro für das Ganztagsschulprogramm.
Sie haben die Ganztagsschulen doch nicht mit Ihrer Frauenpower durchgesetzt. Sondern weil es den Pisaschock gab und weil der Kanzler 2002 erkannte, wie wunderbar man damit Wahlkampf machen konnte.
Ich hatte bereits vor Pisa ein großes Schulentwicklungsprogramm in Planung. Dass es kein Zuckerschlecken war, Ganztagsschulen politisch durchzusetzen, brauchen Sie mir nicht zu erzählen. Unions-geführte Landesregierungen haben dagegen mit allen Mitteln opponiert – obwohl es in der Bevölkerung eine große Zustimmung dafür gab.
Was bringen Ganztagsschulen?
Frauen werden künftig nicht mehr deswegen an ihr Zuhause gebunden sein, weil die Kinder schon um halb zwölf aus der Schule kommen. Und die beteiligten Schulen werden sich von Grund auf verändern. Denn wenn eine Schule Lernen und Arbeiten über den ganzen Tag verteilt, werden ungeheure pädagogische Potenziale freigesetzt.
Bei Ihnen erscheint Bildungspolitik oft wie ein Instrument der Frauenpolitik. Dabei ist die Lage heute komplizierter. Die Pisastudie hat ja gezeigt, dass der Benachteiligungstypus nicht mehr das katholische Arbeitermädchen vom Lande ist, sondern der Zuwandererjunge in den sozialen Brennpunkten großer Städte …
… und seine Schwestern.
Was kann man für diese Kinder tun?
Auch in Zuwandererfamilien sollte Bildung einen größeren Stellenwert bekommen. Das ist noch viel zu wenig der Fall. Ich hatte als Lehrerin einen türkischen Schüler, der heute Rechtsanwalt ist. Der wäre allein durch seine Familie nicht so sehr gefördert worden, wenn ich nicht so dahinter gewesen wäre.
Die Eltern sollen die Bildungskrise lösen?
Nicht allein. Wir müssen die Kinder in Kindergarten und Schule viel besser in ihrer sprachlichen Entwicklung fördern. Das wissen alle, trotzdem wird es sträflich vernachlässigt. Erst wenn das geschieht, haben Migrantenkinder die Grundlage, um selber weiter zu lernen. Wir haben das Ganztagsschulprogramm 2002 …
… Pardon, was haben, bitte, Ganztagsschulen mit Integration zu tun?
Auf den ersten Blick wenig. Aber sie bieten, wenn Sie genauer hinsehen, doch erst die Plattform, auf der ganz andere Lernmodelle und individuelle Förderung Benachteiligter möglich sind.
Worüber haben Sie als Bundesbildungsministerin am meisten gelernt. Über die Schulen, weil die Pisastudien viel Neues gezeigt haben? Über Ihre Kollegen Länderminister, die am liebsten alles beim Alten belassen würden? Oder über uns Medienleute, die offenbar auch viel dazulernen mussten?
Ich hatte nicht gedacht, dass ich so häufig mit dem Hinweis auf fehlende Zuständigkeit gebremst werden würde. Ich dachte eigentlich, dass das an vierter oder fünfter Stelle steht, wenn es darum geht, etwas zu bewegen. Ich gestehe, dass das schwer zu ertragen ist. Es wird kaum sachorientiert gestritten, sondern ganz oft machtgeleitet – am schlimmsten in der Bildungspolitik. Ich erlebe Auseinandersetzungen, in denen es ausschließlich um Ideologie geht.
Und das wundert Sie in der Politik?
Es geht bestimmten Leuten darum, Bildungsprivilegien zu zementieren, anstatt sie aufzubrechen. Das wird aber natürlich nicht offen benannt. Diese Gegensätze werden verschleiert.
Was würden Sie demjenigen empfehlen, der Bildungsminister wird?
Wenn man in diesem Amt ein gutes Leben haben will, muss man nur die Hände in den Schoß legen. Ich wollte das nie.