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Archiv-Artikel

Missbrauch am Verbraucher

Am Ende von Rot-Grün (III): Renate Künast hat die Notwendigkeit einer Agrarwende in der Öffentlichkeit verankert. Eine effiziente Verbraucherschutzpolitik gelang ihr aber nicht

Die angekündigte Qualitätswende bei Lebensmitteln hat nicht stattgefunden

Verändert die Wirklichkeit die Politik oder ist es umgekehrt? Im Fall der Verbraucherpolitik ist es eindeutig: Sie erhielt in Deutschland Anfang des Jahres 2001 Kabinettsrang, weil die BSE-Krise die Politik eingeholt hatte. So ergab sich für die Bundesregierung, insbesondere aber für Bündnis 90/Die Grünen, die seltene Chance für eine neue Politik. Und das auf einem von gut organisierten Interessenverbänden der Land- und Lebensmittelwirtschaft beeinflussten Terrain. Der Rinderwahnsinn BSE wurde als Paradigma für die Missstände in der Agrarproduktion aufgefasst, die man nur durch radikales Umsteuern würde beseitigen können. Für die Grünen bedeutete dies eine „Agrarwende“ hin zum Ökolandbau. Zugleich sah man darin eine Voraussetzung für mehr Verbraucherschutz. Es lag nahe, dem bisherigen Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung den Verbraucherschutz voranzustellen.

Doch die Zusammenlegung verhinderte eine effektive Verbraucherpolitik mehr als sie ihr nützte. Die Interessen von Herstellern und Handel, egal ob konventionell oder ökologisch wirtschaftend, unterscheiden sich von den Interessen der Verbraucher. Insofern war das Postulat von Rot-Grün, die ökologische Landwirtschaft sei Voraussetzung für vorsorgenden Verbraucherschutz, ein schwerwiegender Irrtum. Erstens, weil damit eine Verbesserung der Verbraucherrechte vom Gelingen der Agrarwende abhängig gemacht wurde. Zweitens, weil suggeriert wurde, Verbraucherschutz sei gleichbedeutend mit Ökolandwirtschaft. Und drittens, weil beides in der Konsequenz zu einem moralisierenden Leitbild vom „guten“ Verbraucher führte, der Bioware konsumiert.

Dies fand zu einer Zeit statt, als Ökolebensmittel gerade mal drei Prozent Marktanteil hatten und obwohl Anforderungen an effektiven Verbraucherschutz und an ein modernes Verbraucherleitbild unabhängig von der bevorzugten Form der Landwirtschaft bestimmt werden müssen. Die Bundesregierung benutzte ihr moralisierendes Verbraucherleitbild als Ausrede, statt Möglichkeiten, Grenzen und Verantwortlichkeiten des Verbraucherverhaltens zu definieren. Nicht falsche Konzepte und fehlender Mut, sondern „Schnäppchenmentalität“ der Verbraucher wurden dafür verantwortlich gemacht, dass die rot-grüne Agrarwende stecken blieb und sich weitere Futtermittelskandale ereigneten. Als ob sichere Futter- und Lebensmittel und eine ökologisch modernisierte Landwirtschaft sich durch moralisierende Appelle an die Verbraucher, und nicht durch geeignete politische Maßnahmen und Gesetze erreichen ließen.

Das rot-grüne Konzept der Agrarwende suggerierte eine Lösung, die keine ist. Mit dem Ziel, den Ökolandbau bis zum Jahr 2010 auf 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche auszubauen, konnte gar keine echte ökologische Wende stattfinden. Auch bei Erreichen dieses Zieles würden noch 80 Prozent der Produktion in konventioneller Weise und mit erheblichen ökologischen Schäden erwirtschaftet werden. Außerdem war das Ziel unrealistisch. Das beweist der Umstand, dass heute, viereinhalb Jahre später, nur rund vier Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch bewirtschaftet werden.

Statt sich auf die Agrarwende zu fixieren, hätte man flächendeckend das Verursacherprinzip in der gesamten Landwirtschaft einführen müssen. Alle Agrarbetriebe hätten für die von ihnen verursachten Umweltbeeinträchtigungen zahlen müssen. Anstatt also die Verbraucher mit ihrer Trinkwasserrechnung die Wasserreinigung von Dünger und Pestiziden bezahlen zu lassen, müssten dafür die verschmutzenden Landwirte aufkommen. Die Herstellungskosten für konventionelle Agrarprodukte wären ehrlicher, alle Bauern hätten einen Anreiz zum Einsatz weniger schädlicher Verfahren – und ökologisch erzeugte Ware wäre wettbewerbsfähiger.

Richtig war der Plan der rot-grünen Verbraucherpolitik, ein klar definiertes Qualitätssiegel für konventionell erzeugte Lebensmittel einzuführen. Es besteht nämlich ein zentrales Informationsdefizit für die Verbraucher, weil Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen Produkten nicht eindeutig erkennbar sind. Doch der Plan wurde von Verbraucherministerin Renate Künast nicht umgesetzt. Lediglich für den ökologischen Nischensektor führte sie in Anlehnung an die EG-Öko-Verordnung das deutsche Bio-Siegel ein. Die angekündigte Qualitätswende bei Lebensmitteln hat nicht stattgefunden. Die Konsumenten können bis heute die Qualität eines Produktes kaum ins Verhältnis zu dessen Preis setzen – und greifen zum billigsten.

Für die Anwendung der Agrar-Gentechnologie in Deutschland hat Rot-Grün richtigerweise strenge Regeln nach dem Verursacherprinzip durchgesetzt. Damit werden alle Landwirte geschützt, die keine gentechnisch veränderten Sorten anbauen wollen. Das ist überlebenswichtig für Biobetriebe. Die Verbraucher aber wurden bei der versprochenen Wahlfreiheit im Stich gelassen. Beim Kauf von Fleisch, Eiern oder Milch weiß niemand, ob er sich für oder gegen Gentechnologie entscheidet. Die Verwendung gentechnisch veränderter Futtermittel bei der Erzeugung tierischer Lebensmittel muss nicht gekennzeichnet werden. Diese Kennzeichnungslücke ist gravierend: Rund achtzig Prozent aller gentechnologisch veränderten Pflanzen gehen in die Futtermittelproduktion. Die Verbraucher werden durch die fehlende Kennzeichnung zu Zwangsunterstützern einer Technik gemacht, die sie mehrheitlich ablehnen.

Große Resonanz in der Öffentlichkeit hat die von Künast angestoßene Diskussion über übergewichtige Kinder ausgelöst. Dennoch hat sich die Politik der Bundesregierung hier weitgehend in Symbolik erschöpft – statt etwa die Werbung für dick machende und ungesunde Kinderlebensmittel wie Softdrinks zu regulieren oder Zutatenlisten anschaulich zu gestalten. Hier hat die Ministerin ihre Gestaltungsmöglichkeiten nicht genutzt.

Verbraucherschutz und Landwirtschaft in einem Ministerium bedeuten keineeffektive Politik

So wirkt das Erreichte angesichts der hochgesteckten Ziele rot-grüner Agrar- und Verbraucherpolitik mager. Ohne Frage ist es die Leistung der ersten deutschen Verbraucherministerin, die Notwendigkeit von Verbraucherrechten und einer Modernisierung der Landwirtschaft nach ökologischen und artgerechten Maßstäben im öffentlichen Bewusstsein verankert zu haben. Konflikte aber hat sie nur dann ausgefochten, wenn es um ihre ureigene Klientel wie Öko-Bauern oder Tierschützer ging. Bei entscheidenden Vorhaben, etwa der Erhöhung der Futtermittel- und Lebensmittelsicherheit, hat sie Spielräume nicht genutzt. Anders beim wiederholt angekündigten Verbraucherinformationsgesetz: Dort hat Künast mehrere Anläufe unternommen. Gescheitert ist sie an Kanzler Schröder und der Blockade des Bundesrates. Beide schlugen sich auf die Seite der Industrie, die Betriebsgeheimnisse über die Gesundheit der Verbraucher stellt. Elementare Bürgerrechte sind damit auch nach fünf Jahren Verbraucherministerium noch nicht durchgesetzt worden.

THILO BODE