: Der Wert einer weißen Wand
MAUERKUNST Grüne wollen Künstlern die Westseite der East Side Gallery zur temporären Gestaltung überlassen. Der Vorschlag ist umstritten. Gedenkexperten fürchten um den Wert des zeitgeschichtlichen Dokuments
RAINER KLEMKE, MAUERGEDENKEXPERTE DER SENATSKULTURVERWALTUNG
VON LISA GEIGER
Frisch saniert ist die East Side Gallery. Die Bilder auf dem 1,3 Kilometer langen Mauerstück am Spreeufer in Friedrichshain wurden komplett neu aufgemalt – und werden am Freitag um 12 Uhr offiziell präsentiert. Nur die Westseite glänzt weiter in tristem Weißgrau. Den Grünen ist das zu trostlos. Sie schlagen eine Art „West Side Gallery“ vor. Doch Puristen ist das viel zu bunt.
Am Mittwochabend wurde die Idee im Kulturausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg diskutiert. Innerhalb eines regelmäßig stattfindenden Wettbewerbs soll eine Jury internationale Künstler für die Gestaltung auswählen. Halbjährlich soll, so der Antrag der Grünen, die Mauer neu gestaltet werden. Die genaue Umsetzung und auch die Finanzierung lässt der Antrag noch offen.
Im Mittelpunkt der Diskussion aber stand die grundsätzliche Frage, ob die Mauer überhaupt bemalt werden soll. Berlin sei das „Rom der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts“, meinte etwa Rainer Klemke, Mauerexperte der Senatskulturverwaltung. Durch die Bemalung würde das zeitgeschichtliche Dokument entwertet. Und auch Kani Alavi, Vorsitzender des Vereins der East Side Gallery, der die Bemalung der Ostseite organisiert hat, ist „grundsätzlich dagegen“, dass die Westseite gestaltet wird. Schon die East Side sei durch Vandalismus oder die geplante und bereits erfolgte Entfernung einzelner Stücke der Mauer gefährdet. Dies sei ein Problem, das vordringlich angegangen werden müsse.
Anke Kuhrmann vom Lehrstuhl der Denkmalpflege der BTU Cottbus sieht hingegen kein Problem in der Bespielung: Der Denkmalwert habe mehr immateriellen Charakter und würde daher nicht beeinträchtigt. Aufgrund der Sanierung bestehe die Mauer ohnehin nur noch aus sehr wenig originaler Substanz.
Die Debatte dürfte sich noch einige Zeit hinziehen. Denn die Fraktionen haben sich noch nicht festgelegt. Ausschussmitglied Lorenz Postler (SPD) sagte immerhin, er werde keinem Konzept zustimmen, das die Interessen des Vereins der East Side Gallery nicht berücksichtige.