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Archiv-Artikel

Das Problem heißt Rassismus

Vom Protest-Camp zum Bundeskriminalamt – das Bündnis gegen Rassismus ruft zur Demonstration auf

Bündnis gegen Rassismus

■ Demonstration In Gedenken an die vom NSU Ermordeten – Nein zu Rassismus in Politik, Alltag und Institutionen. Auftaktkundgebung: Sonntag, 4. November, 14 Uhr, Oranienplatz (Kreuzberg)

■ Im Netz buendnisgegenrassismus.org

■ Diskussionsrunde Brauner Terror – Ein Jahr Zwickau, zwanzig Jahre Mölln und Lichtenhagen, zwei Gesprächsrunden: Donnerstag, 1. November, 19 Uhr, im Ballhaus, Naunynstraße 27

Auf einmal waren sie da. Nachdem Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 13 Jahre lang im Verborgenen mordeten, vergeht kaum eine Woche, in der man nicht von dem Zwickauer Neonazi-Trio liest und hört. Auf die Rechnung der Gruppe, die sich selbst „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte, geht der Mord an neun Migranten und einer Polizistin sowie ein Bombenanschlag in Köln, bei dem 22 Menschen verletzt wurden. Als ob die Taten für sich genommen nicht schon schlimm genug wären, kommt hinzu, dass die Gruppe offenbar von staatlicher Seite gedeckt wurde. Obwohl man beim Verfassungsschutz schon lange von dem Nazi-Trio wusste, handelte man nicht. Zudem vernichteten die Behörden Akten, die sie hätten belasten können.

Ein Jahr nachdem die Taten der Terrorgruppe in den Medien bekannt wurden, soll nun am 4. November mit einer Demonstration der neun Migranten gedacht werden, die von dem Trio getötet wurden. Aufgerufen zu der Demonstration hat das „Bündnis gegen Rassismus“, das ein Zusammenschluss aus verschiedenen MigrantInnen-Initiativen, linken Gruppen, Gewerkschaften und Parteien ist.

Das Bündnis gegen Rassismus hatte sich kurz nach Bekanntwerden der Mordserie konstituiert. Ziel des Bündnisses ist es, zum einen gegen die Verflechtung von Neonazis und Sicherheitsorganen zu protestieren. Zum anderen soll Rassismus bekämpft werden. „Rassismus ist nach wie vor ein großes Problem in Deutschland“, sagt Deniz Yilmaz, Sprecher des Bündnisses. Die Taten des NSU stehen in einer langen Reihe rassistischer Gewalt in der wiedervereinigten Bundesrepublik. Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda sind Namen, die in Erinnerung bleiben. Der alltägliche Rassismus hingegen wird oft nicht einmal als solcher erkannt.

Am 4. November soll es nun auf die Straße gehen. Die Demonstration, zu der bundesweit mobilisiert wird, beginnt um 15 Uhr am Flüchtlings-Protestcamp auf dem Oranienplatz in Kreuzberg. Das Bündnis verbindet mit der Demonstration mehrere politische Forderungen.

Zunächst fordern die AktivistInnen die „konsequente Bekämpfung des Rassismus in all seinen Facetten in Politik, Alltag und Institutionen. Rassismus solle nicht mehr als Randphänomen gesehen werden, das Nazis betrifft, sondern als gesamtgesellschaftliches Phänomen. Belege hierfür gebe es genug: „Die positive Resonanz in der Bevölkerung und in der Politik für die Thesen Sarrazins und Buschkowskys belegen die Ernsthaftigkeit des Problems“, sagt Yilmaz. Die beiden SPD-Politiker haben jeder für sich ein Buch geschrieben, in dem sie das Thema Migration äußerst kritisch behandeln. Auch bei der Polizei sieht das Bündnis große Mängel im Umgang mit rassistischer Gewalt. „Die Polizei begegnet eindeutig rassistischen oder rechts motivierten Angriffen nach wie vor nicht mit der gebotenen Sorgfalt. Die Opfer werden häufig nicht ernst genommen, wenn sie einen solchen Tathintergrund in der polizeilichen Vernehmung angeben“, sagt Helga Seyb von der Opferberatungsstelle ReachOut. ReachOut ist ebenfalls Mitglied im Bündnis.

Darüber hinaus fordert das Bündnis, dass der Verfassungsschutz abgeschafft wird und die NSU-Akten offengelegt werden sollen. Wie Yilmaz erklärt, seien die Polizeiapparate Teil des Problems. Statt gegen Nazis vorzugehen, würden sie diese schützen. Entsprechend ist das Ziel der Demonstration die Zentrale des Bundeskriminalamtes in der Nähe des Treptower Parks, wo für 17 Uhr eine Abschlusskundgebung geplant ist.

Mit der Demonstration will das Bündnis an andere Kämpfe gegen Rassismus anknüpfen: Die MieterInnen-Initiative „Kotti & Co“, die die sich gegen die Verdrängung von MigrantInnen aus Kreuzberg einsetzt, soll genauso das Wort erhalten wie die Beteiligten des Flüchtlingsmarsches von Würzburg nach Berlin. Das Bündnis erhofft sich mit der Demonstration, den von den NSU-Taten Betroffenen Mut zu machen und den öffentlichen Druck auf die Politik und die Behörden zu erhöhen.

Im Vorlauf zu der Demonstration laden die taz und die Heinrich Böll Stiftung heute Abend in das Ballhaus Naunynstraße. In zwei Gesprächsrunden wird über die NSU-Mordserie und rassistische Gewalt diskutiert. Mit dabei sind unter anderem: Fadime Simsek, die Nichte des NSU-Opfers Enver Simsek, Ibrahim Arslan, der 1992 einen von Neonazis verübten Brandanschlag in Mölln überlebte, Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler, Anwalt der NSU-Opfer, und Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, der im NSU-Untersuchungsausschuss sitzt. LUKAS DUBRO