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Archiv-Artikel

Respekt reicht nicht

Obwohl eine Volksinitiative satte 160.000 Unterschriften gegen das Ende der Lernmittelfreiheit in Niedersachsen vorlegt, dürften die Basisdemokraten vorerst erfolglos bleiben

von Kai Schöneberg

Es ist ein Jammer mit der Basisdemokratie: Ob Otto Normalwähler gegen Müllverbrennungsanlagen oder Einkaufszentren unterschreibt – häufig stolpern Graswurzeldemokraten über rechtliche Fallstricke oder die Zahl der Unterzeichner. In den elf Jahren Jahren seit Inkrafttreten des Volksabstimmungsgesetzes haben in Niedersachsen bislang zwar sieben Bürgerbegehren und zehn Volksinitiativen stattgefunden, aber nur drei waren erfolgreich. 1994 kam der Gottesbezug in die Landesverfassung, drei Jahre später setzten 75.000 Unterschriften durch, dass ein ADAC-Hubschrauber in Wolfenbüttel stationiert bleibt. Gestern war im Landtag in Hannover zu besichtigen, was passieren kann, wenn ein Bürgerbegehren außerordentlich erfolgreich ist – nämlich außerordentlich wenig.

Im vergangenen Jahr schaffte Schwarz-Gelb die seit 1991 geltende Lernmittelfreiheit ab. Seitdem können Eltern die Schulbücher zu etwa einem Drittel des Kaufpreises leihen – das kostet bis zu 100 Euro im Schuljahr, im Durchschnitt 40. Weil der Oldenburger Stadtelternrat Ulf Bröcker darin die „Einführung eines heimlichen Schulgeldes“ sah, rief er mit anderen Eltern, Parteien und Gewerkschaften zur Volksinitiative auf. Die „Privatisierung der Schulkosten“ sei familienfeindlich und sozial ungerecht. Eltern zahlen schließlich auch noch Arbeitshefte, Taschenrechner, Atlanten, Kopien und Nachhilfe.

„Wo die Schwächsten betroffen sind, langen Sie voll zu!“

Satte 160.000 Unterschriften sammelte die Volksinitiative – dabei hätten schon 70.000 gereicht, um eine erneute Debatte im Landtag und damit moralischen Druck auf die Landesregierung zu erzwingen. „Die Eltern erwarten mehr von Ihnen als die ewige Litanei: Kein Geld, das hat die SPD verbraten“, sagte die grüne Schulexpertin Ina Korter gestern in Richtung Kultusminister Bernd Busemann (CDU). Der habe die Hausaufgabenhilfe abgeschafft und bei der Sprachförderung in Kindergärten gekürzt – „überall wo die Schwächsten betroffen sind, langen Sie voll zu!“, meinte Korter. Walter Meinhold von der SPD lobte zwar, dass Büchergeld für langzeitarbeitslose Eltern bereitgestellt worden sei. Allerdings träfen die Mietkosten all die mit voller Wucht, deren Einkommen knapp über der Grenze liegen. Und überhaupt. Meinhold: „Die Scheindebatte nimmt viele, die unterschrieben haben, nicht ernst.“

Busemann wedelte mit einem zerfledderten Französischbuch in den Landtag: „Dieses Buch stammt aus dem Jahr 1999 und wurde von sechs Schülern benutzt – das ist Lehrmittelfreiheit à la SPD“. Sein Mietmodell sei eine „sozialverträgliche Lösung - sogar mit Geschwisterrabatt“. Kommenden Freitag darf die Initiative sogar im Kultusausschuss reden. Trotz des vielfach ausgesprochenen „Respekts“ für die Begehrer zeichnet sich wegen knapper Kassen ein deftiges busemannsches „Non“ ab. Die Initiative denkt deshalb bereits über ein Volksbegehren nach – auch dann müsste der Landtag deren Anliegen wieder aufgreifen. Dafür benötigen die Basisdemokraten jedoch etwa 600.000 Unterschriften.